WELTWEIT VERNETZT. THÜRINGEN VERPFLICHTET. - page 50

nur zwei herausragende Beispiele. In Jena wurden von
den frühaufklärerischen Impulsen eines Erhard Weigel
an jene innovativen Deutungsmuster gesucht und eben­
solche Handlungsmodelle entwickelt, mit denen sich
Menschen über sich selbst und untereinander verstän­
digen können. Die Notwendigkeit einer solchen Verstän­
digung erwuchs aus demDenkhorizont, der bereits seit
derFrühaufklärungschrittweisedenMenscheneröffnet­
wurde: Freiheit und ein damit verbundener beziehungs­
weise daraus resultierender Zwang zur Wahl der Selbst­
deutung und (im Rahmen ökonomischer Möglichkeiten)
von Handlungsoptionen. Seitdem lebt der Mensch – so
könnte man zugespitzt formulieren – in einem einzigen,
einzigartigen Experiment, in einer Art Laboratorium im
Gefolge der Aufklärung.
Der prinzipielleGedankederMöglichkeit vonFreiheitwar
unhintergehbar, der Fluchtweg aus dem „Laboratorium
Aufklärung“ zurück in unhinterfragbarfestgefügte Ein­
deutigkeitenversperrt.Geradeauf denFeldernErziehung
und Bildung, auf denen es angesichts der Unverfüg­
barkeit des Menschen gleichermaßen um die Ermögli­
chung von Freiheit und deren steuernde Einschränkung
geht, spiegeln sich die Umgangsvariantenmit dem Frei­
heitsappell derAufklärung invielfältigenVariationen: von
idealistischen Überhöhungen der Freiheit in einem be­
stimmten Bildungsideal bis zu deren nahezu vollständi­
gerNegierung inKonzeptionender Formationserziehung.
Der Ausgangspunkt im langen 18. Jahrhundert war klar:
Im „Laboratorium Aufklärung“ gelten Freiheit, Mündig­
keit und Autonomie als Maßstäbe für eine vernunftge­
leitete Gestaltung des Lebenslaufs – wie immer damit
umgegangen wird, wie immer auch diese Maßstäbe
begrüßt oder verworfen werden. Diese Ideale verleihen
insbesondere der Leitvorstellung „Bildung“ einen beson­
derenAkzent. Bildungwird ineinemumfassendenSinne
an die tätige Kulturaneignung des Individuums gebun­
den. In den heutigen Debatten um den Zusammenhang
von Lebenslauf und Lernen imHorizont von Kultur wird
vorausgesetzt, dass der Mensch – inmitten aller fakti­
schenAbhängigkeiten – seinen Lebensweg als Lernweg
unter demAnspruch und der Maßgabe eines kritischre­
flektiertenVernunftgebrauchsselbstgestaltet.Erkannes,
er darf es, ermuss es.
HistorischeSchwerpunkte
Blickt man nun darauf, womit Thüringen nicht nur
national, sondern auch international wahrgenommen
wird, so spielenFragender ErziehungundBildungeine
bedeutsame Rolle. Zugleich lassen sich Zeitkontexte
identifizieren,dieinbesondererWeisefürInnovations­
schübe indiesemBereich stehen.
Zum einen das lange 18. Jahrhundert, in dem Thüringen
vor allem, jedoch keineswegs nur im „Ereignis Weimar­
Jena“ einen Fokus gefunden hat, der auch für Erziehung
undBildungmaßgebliche Impulsebrachte. Exemplarisch
für diesen Zeitraum steht der Namensgeber der Jenaer
Universität:FriedrichSchiller.DieuntrennbareVerflech­
tungvonBildungundKultur, hier vor allemverstandenals
Balance von Sinnlichkeit und Intellekt, Körper und Geist,
wird von ihm in besonderemMaße repräsentiert. Schil­
ler und all' die anderen hatten eine weit reichende Wir­
kung: sie strahlten über die Region aus in nationale und
internationale Wahrnehmungs und Rezeptionsprozesse.
Solche Beispiele ließen sich für die Zeit „des Laborato­
riums Aufklärung“ im 18. Jahrhundert leicht vermehren:
der Ökonom Darjes mit seiner Rosenschule, die kultur­
zentrierten Bildungskonzeptionen Herders und Goethes,
die spekulatividealistischen SelbstModelle bei Fichte
und Hegel, die sozialdiakonische Praxis des Lutherhofs
von Falk inWeimar, der frühe Neuhumanismus bei Niet­
hammerbishinzueinerspezifischenÜberprüfungdes­
Selbst in den Bildungskonzeptionen der Frühromantiker.
Die Liste derjenigen Personen, Werke, Zeitströmungen,
aber auch sozialen Praktiken (zum Beispiel der Volksauf­
klärung oder der gelehrten Salons) ist lang, die als je un­
terschiedlicheAntwortversuche auf die eineHerausforde­
rungderAufklärung, dieFreiheit, kritischgelesenwurden
beziehungsweise erst noch entdecktwerdenmüssen.
Zum anderen der Zeitraum um 1900, in dem zum Bei­
spiel Jena – nicht zuletzt auf dem Hintergrund der öko­
nomischen Gründerleistungen von Otto Schott und Carl
Zeiss sowie der sozialreformerischen Aktivitäten Ernst
universität jena. weltweit vernetzt. thüringen verpflichtet.
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