exkurs
Das „EreignisWeimar-Jena“ unddas „LaboratoriumAufklärung“
Die Universität Jena zehrt noch heute von dem Glanz
der großenNamen, die sich vor gut zweihundert Jahren
mit ihr verbanden. Damit dieser Glanz nicht stumpf oder
museal wird, muss die wissenschaftliche Auseinander-
setzung mit dem, wofür diese Namen stehen, lebendig
bleiben. „EreignisWeimar-Jena“ ist der neueBegriff,mit
dem zusammengedachtwird,was zuvor unter denTiteln
„Weimarer Klassik“, „Jenaer Romantik“, „Deutscher Ide-
alismus“ gefasst wurde. Das Neue liegt in der kulturwis-
senschaftlichen Interdisziplinarität, die zusammenfasst,
was disziplinär in Literatur-, Kunst- und Philosophie-, in
Herrschafts-, Wirtschafts- und Sozial-, in Residenz- und
Stadt-, in Kirchen- und Schul-, Universitäts-, Wissen-
schafts- und Medizingeschichte getrennt ist. Es kommt
auf derenZusammenhänge undWechselwirkungen an.
Dabei geht es nicht um irgendein Kapitel der deutschen
Geschichte, sondernumdasjenige, dasüber das19. und
20. Jahrhundert bis heute im Zentrum des kulturellen
Deutschland-Bildes steht. Das 19. Jahrhundert hat es
zum stolzen Selbstbild der Deutschen Kulturnation er-
hoben, die Weimarer Republik hat es als humanistisch-
friedfertigen „Geist von Weimar“ gegen den preußisch-
militärischen „Geist von Potsdam“ starkmachenwollen;
und nachdem der Nationalsozialismus und der Zweite
Weltkrieg die Vorstellung der Kulturnation faktisch wi-
derlegt und zerstört hatten, war die Nationalklassik zwi-
schen westdeutscher Kritik an der Klassik-Legende und
ostdeutscher sozialistischer Erbe-Doktrin zerrissen. Die
Rezeptions- und Deutungsgeschichte haben dabei ein
solchesAusmaß angenommen, dass die alten Texte und
Zeugnisse dahinter verschwinden können. Warum liest
man Goethe und Schiller in der Schule? –Weil man es
seit Generationen tut. SachlicheGründe? Keine, über die
man sichheute allgemein verständigt hätte.
Distanzierung vonRezeptionsklischees
Als der Jenaer Sonderforschungsbereich (SFB) im Som-
mer 1998 seineArbeit begann, dawar sein Titel „Ereignis
Weimar-Jena. Kultur um 1800“ der Versuch, sich von al-
lenRezeptionsklischees zudistanzieren.Der SFBverstand
sichalsKontrastprogramm zurmonumentalisierendenGe-
schichtsschreibung: Anstatt die Großen herauszustellen,
sollte das rezeptionsgeschichtlich Groß-, mitunter Über-
großgewordene in seinem zeitgenössischen Entstehen
undKontext gesehenwerden.
DasRegionaleundauchLokaleander deutschenKlassik
und Romantik zu rekonstruieren heißt nicht, sie auf die-
sesMaß zu verkleinern. Es heißt vielmehr, nach den Be-
dingungenundVoraussetzungen „vorOrt“ zu fragen, die
dieses kulturgeschichtliche Ereignis möglich gemacht
haben. Was war in Weimar und Jena um 1800 los, so
dass diese damals wie heute provinziell kleinen Städ-
te eine bis in die Gegenwart anhaltende internationale
Strahlkraft und Attraktion entwickeln konnten? Hier nur
einigeSchlaglichter der Forschung:
Kultur undWissenschaft sind im ausgehenden 18. Jahr-
hundert das erfolgversprechendste Feld bürgerlicher
EmanzipationunddesständischesAusgleichs. InderWei-
marer Residenz wurde dieser Prozess durch einUnglück
glücklich befördert: Am 6. Mai 1774 brannte das Her-
zogliche Schloss nieder, so dass der Weimarer Hof über
Jahrzehnte seiner herrschaftlichen Repräsentationsmög-
lichkeitenberaubtwar. DieHerzogsfamiliemusste sich in
Provisorien von eher bürgerlicher Dimension einrichten,
wodurch die ständische Hierarchie ihren sichtbarsten
Ausdruck verlor. Das förderte neue Formen bürgerlicher
Begegnung und Geselligkeit. Die Kommunikationssituati-
onenwurden vielfältiger und ständischdurchlässiger.
Zeitschriften sind in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun-
derts das dynamischste Medium. Sie vermehren sich
explosionsartig und entsprechen damit der sich ausbrei-
tenden Lesefähigkeit und demwachsenden Lesehunger.
InWeimar sitztmit Friedrich JustinBertucheinZeitschrif-
tenverleger undMedienunternehmer, der imBlickauf die
Publikumsorientierung, Logistik, Vertrieb und Finanzie-
rung einer der erfolgreichsten seiner Zeit ist. Die geogra-
phische Lage zwischen den Buchhandelszentren Frank-
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Das FrommannscheAnwesen –Mittelpunkt philosphischer
und literarischer Zirkel um 1800 in Jena.
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wissenschaffen
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