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FSU-Newsletter/Sommer 2017
Personalia
„Für mich der perfekte Weg“
Gewalt verhindert – und selber erlitten
Neuer Höchststand: 422 FSU-Studierende absolvieren Studium ohne Abitur
Viele Wege führen nach Rom – und an
die Universität. Eine kürzlich veröffent-
lichte Studie des Centrums für Hoch-
schulentwicklung (CHE) zeigt, dass
inzwischen 51.000 Studierende an deut-
schen Unis nicht die allgemeine Hoch-
schulreife erworben haben – auch die
FSU verzeichnet derzeit einen Höchst-
stand. „Im aktuellen Sommersemester
sind 422 Studierende ohne Abitur imma-
trikuliert. Noch vor zwei Jahren lag der
Wert nicht einmal bei der Hälfte“, berich-
tet Michael Götz, Leiter des Studieren-
den-Service-Zentrums (SSZ). „Uns ist es
wichtig, dies weiter auszubauen, denn
einige junge Menschen erkennen erst
etwas später, dass sie gern studieren
möchten und das Studium für die inzwi-
schen gereifte Karriereplanung sinnvoll
oder erforderlich ist.“
Studium auf Probe
Genauso erging esTommy Melzer, der
nach der 10. Klasse zunächst eine Aus-
bildung zum Chemisch-Technischen As-
sistenten absolvierte und im Anschluss
als Chemielaborant in Fulda gearbeitet
hat. „Das hat Spaß gemacht, aber ich
wollte noch mehr“, erzählt der gebürtige
Thüringer aus Geisa. Deswegen hat er
sich entschieden, den Schritt an die Uni
noch zu wagen. In Jena sei das im Fach
Chemie durch ein Probestudium ganz
unkompliziert gewesen. „Das heißt,
dass ich in den ersten zwei Semestern
mindestens die Hälfte der Prüfungen be-
stehen musste“, erinnert er sich.
Das erste Studienjahr zu überstehen,
war für ihn kein Problem – nur in Ma-
the hat er gemerkt, dass seine Kom-
militonen ihm ein Stück voraus waren.
Ganz anders im praktischen Teil: „Im
Labor war ich von Beginn an sicher, da
hat mein Job vorher den Einstieg sehr
erleichtert.“ Inzwischen hat der Bache-
lorstudent das vierte Semester erreicht.
Dass er im Anschluss einen Masterstu-
diengang beginnen will, steht für ihn
schon fest. Auch eine Promotion in der
organischen Chemie schließt der 24-Jäh-
rige nicht aus. Für ihn selbst und seine
Mitstudierenden hat es nie eine Rolle
gespielt, dass er nicht über den „klassi-
schen Weg“ an die Hochschule gekom-
men ist. „Studenten sind doch immer
eine bunte Mischung. Manche kommen
vom Internat, waren vorher im Ausland
oder haben eben schon gearbeitet, das
macht es ja auch spannend“, findet Mel-
zer. „Für mich war es der perfekte Weg.
Mit 18 war ich einfach noch nicht bereit
Medizinstudentin Louise Beckmann erhält Jenaer Preis für Zivilcourage
Manchmal verändert ein Moment das
ganze Leben. Für Louise Beckmann pas-
sierte es am 22. Oktober 2016. Die Me-
dizinstudentin war mit Freunden unter-
wegs, sie stiegen am Paradiesbahnhof
aus der Straßenbahn. Dort trafen sie auf
eine Gruppe betrunkener Männer. Als
einer aus dieser Gruppe auf einen ihrer
Begleiter losging, stellte sich Beckmann
dazwischen, um den Streit zu schlichten.
Doch der Betrunkene schlug zu und ver-
letzte die 22-jährige Studentin am Auge.
Der Täter floh und ist bis heute nicht
identifiziert. Louise Beckmann erlitt bei
diesem Angriff so schwere Schädigun-
gen am Auge, dass sie trotz mehrerer
Operationen und langer Krankenhaus-
aufenthalte bis heute auf dem verletzten
Auge fast blind ist – ohne Aussicht auf
Besserung.
Für ihr mutiges Eingreifen ist Louise
Beckmann am 12. Mai mit dem 16. Je-
naer Preis für Zivilcourage ausgezeich-
net worden. Doch sicher wurde nicht
nur ihr Einsatz von der Jury honoriert,
sondern auch ihre Einstellung, dass sie
es trotz aller Konsequenzen immer wie-
der machen würde. Denn auf die Frage,
ob sie ihr Eingreifen bereue, sagte die
Medizinstudentin: „Was wäre passiert,
wenn ich nicht eingegriffen hätte? Diese
Variante wäre sicher schlimmer gewe-
sen als das, was passiert ist“. Sie würde
wieder schlichten wollen, betonte die
couragierte Studentin.
Sie nutzte die Preisverleihung, um
sich bei vielen zu bedanken: allen voran
bei ihren Kommilitoninnen und Kommi-
litonen, die ihr während ihrer Kranken-
hausaufenthalte beim Lernen halfen
und vorlasen. Auch bei der Uni und den
medizinischen Instituten bedankte sie
sich sowie beim „Weißen Ring“, jenem
Verein, der Opfern von Gewalttaten hilft
– bei Behördengängen ebenso wie bei
hilfreichen Gesprächen.
AB
Couragiert:LouiseBeckmann.
Studiertohne
allgemeineHoch-
schulreifeander
UniJena:Tommy
Melzer.
für ein Studium, jetzt schon. Ich würde
es genauso wieder machen.“
An der Chemisch-Geowissenschaft-
lichen Fakultät ist Tommy Melzer einer
der wenigen, die ohne reguläres Abitur
studieren. Die meisten Studierenden
ohne Abi gibt es an der FSU in denWirt-
schafts- und Rechtswissenschaften und
der Soziologie.
jd
Foto:Kasper
Foto:Schimmel