28
Uni-Journal Jena12/15
Forschungsprojekte
„Unser Freund, das Atom“
Wissenschaftshistoriker erforschen 70 Jahre Kernenergienutzung in Europa
„Atomkraft, nein danke!“, der gelbe
Aufkleber mit diesem Schriftzug ist seit
Jahrzehnten auf vielen Autos zu lesen.
Nach der Katastrophe im japanischen
Kernkraftwerk Fukushima haben sich die
Einstellungen gegenüber der Atomkraft
verändert: Während in Deutschland der
Ausstieg im Eilverfahren beschlossen
wurde, halten andere europäische Staa-
ten weiter an der Nukleartechnologie
fest. Diesen aktuellen Entscheidungen
liegen historisch gewachsene Strukturen
zugrunde, die nun in einem EU-Großpro-
jekt untersucht werden.
An dem Projekt „History of Nuclear
Energy and Society (HoNEST)“, das
die Europäische Union mit rund drei
Millionen Euro fördert, ist auch die
Universität Jena (FSU) beteiligt. Ziel
der ländervergleichenden Studie ist
es, die Erfahrungen mit Kernenergie
von 20 europäischen Staaten aus den
vergangenen 70 Jahren zusammenzu-
tragen. Damit sollen Erklärungen über
die Vielfalt und den Wandel der Bezie-
hungen der europäischen Gesellschaft
zur Kernenergie auf Basis der histori-
schen Erfahrungen möglich werden.
Analyse des Scheiterns
Die Studien aus Österreich und
Deutschland bzw. der DDR liefern Dr.
Christian Forstner und Bernd Helmbold
vom Institut für Geschichte der Medizin,
Naturwissenschaft und Technik. „Wir
gehen davon aus, dass die nationale
Nuklearpolitik nur in einem breiteren
inter- und transnationalen Rahmen ver-
standen werden kann“, so Forstner, der
das Projekt an der FSU leitet. Deutsch-
land und Österreich haben eine lange
Tradition in der Kernenergieforschung.
Nach 1945 verhinderten die Allierten
zunächst, dass diese Länder eigene
Atomenergieprogramme entwickelten.
Um gesellschaftliche Akzeptanz warb
man in Deutschland dennoch, u. a. mit
dem Slogan „Unser Freund, das Atom“.
Während in der DDR die Technologie
der Sowjetunion übernommen wurde,
baute Österreich nach 1955 mit Hilfe der
USA seine Kernenergie aus. Für Forstner
ist dies gleich doppelt interessant: Ös-
terreich kooperierte mit internationalen
Organisationen, scheiterte mit seinem
nationalen Atomprogramm aber in den
1970er Jahren. „Die Analyse dieses
Scheiterns ist von Bedeutung für das
Verständnis aktueller Entwicklungen in
anderen europäischen Staaten, die den
Atomausstieg anstreben oder hinter sich
haben“, ist er überzeugt.
biw
Dr.ChristianForst-
nerleitetdasEU-
Projekt.
Kontakt:
Tel.:03641/949510
E-Mail:christian. forstner@uni-jena.deFoto:Wiedemann
Atomkerne am CERN erforschen
BMBF fördert mit zwei Millionen Euro kernphysikalisches Verbundprojekt
Sieben deutsche Universitäten erhalten
für kernphysikalische Experimente an
der Forschungsanlage ISOLDE 2,3 Mil-
lionen Euro vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF). ISOLDE
steht für „Isotope Separator On Line De-
vice“ und befindet sich am Europäischen
Kernforschungszentrum CERN in Genf.
Die Anlage kann exotische Atome erzeu-
gen, die beschleunigt und zu verschie-
denen Experimenten geleitet werden.
Beteiligt sind Arbeitsgruppen der TUs
in Darmstadt, Dresden und München
sowie der Universitäten Greifswald,
Jena, Köln und Mainz. Das BMBF stellt
die Mittel im Rahmen der Verbundfor-
schungsförderung für drei Jahre bereit.
Kurzlebig und selten
Die Forschungsteams führen Unter-
suchungen an seltenen Atomkernen
durch, die oft schon Sekundenbruchteile
nach ihrer Produktion wieder zerfallen.
Ihre Erzeugung ist eine Herausforde-
rung und führt oftmals zu lediglich sehr
geringen Teilchenzahlen. Für ihre Mes-
sungen entwickeln die Arbeitsgruppen
daher hochempfindliche Detektoren,
um die kurzlebigen Atomkerne nicht nur
nachzuweisen, sondern auch ihre Eigen-
schaften, wie Größe, Masse und Anre-
gungsspektrum, mit hoher Genauigkeit
zu vermessen. Ziel ist ein umfassendes
Verständnis der Struktur dieser Kerne.
Aus den Ergebnissen dieser Experi-
mente erhoffen sich die Wissenschaft-
ler Erkenntnisse über die kernphysi-
kalischen Vorgänge in Sternen, der
natürlichen Umgebung dieser radioak-
tiven Kerne. Insbesondere sind deren
Eigenschaften wesentlich für das Ver-
ständnis der Prozesse unter den extre-
men Bedingungen, wie sie in Sternen
herrschen, die größer und schwerer als
unsere Sonne sind. Dort sind außer den
ganz leichten Kernen wie Wasserstoff
und Helium, die schon nach dem Urknall
vorhanden waren, praktisch alle anderen
Kerne und damit die entsprechenden
chemischen Elemente entstanden, aus
denen unsere Umwelt und auch wir
Menschen selbst aufgebaut sind.
Über die kern- und astrophysikalische
Grundlagenforschung hinaus finden die
von ISOLDE zur Verfügung gestellten
radioaktiven Kerne auch Anwendung bei
der Untersuchung von Festkörpereigen-
schaften und medizinischen Fragestel-
lungen, die von den Entwicklungen der
experimentellen Methoden ebenfalls
profitieren.
PM
Foto:J.Scheere
Kontakt:
Prof.Dr.Stephan
Fritzsche
Tel.:03641/947606
E-Mail:stephan. fritzsche@uni-jena.deGefördertwirdu.a.einProjektderJenaerAr-
beitsgruppevonProf.Dr.StephanFritzsche,
LehrstuhlinhaberfürKorrelierteQuantensys-
teme/Theorie.