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Uni-Journal Jena12/15

Forschungsprojekte

„Unser Freund, das Atom“

Wissenschaftshistoriker erforschen 70 Jahre Kernenergienutzung in Europa

„Atomkraft, nein danke!“, der gelbe

Aufkleber mit diesem Schriftzug ist seit

Jahrzehnten auf vielen Autos zu lesen.

Nach der Katastrophe im japanischen

Kernkraftwerk Fukushima haben sich die

Einstellungen gegenüber der Atomkraft

verändert: Während in Deutschland der

Ausstieg im Eilverfahren beschlossen

wurde, halten andere europäische Staa-

ten weiter an der Nukleartechnologie

fest. Diesen aktuellen Entscheidungen

liegen historisch gewachsene Strukturen

zugrunde, die nun in einem EU-Großpro-

jekt untersucht werden.

An dem Projekt „History of Nuclear

Energy and Society (HoNEST)“, das

die Europäische Union mit rund drei

Millionen Euro fördert, ist auch die

Universität Jena (FSU) beteiligt. Ziel

der ländervergleichenden Studie ist

es, die Erfahrungen mit Kernenergie

von 20 europäischen Staaten aus den

vergangenen 70 Jahren zusammenzu-

tragen. Damit sollen Erklärungen über

die Vielfalt und den Wandel der Bezie-

hungen der europäischen Gesellschaft

zur Kernenergie auf Basis der histori-

schen Erfahrungen möglich werden.

Analyse des Scheiterns

Die Studien aus Österreich und

Deutschland bzw. der DDR liefern Dr.

Christian Forstner und Bernd Helmbold

vom Institut für Geschichte der Medizin,

Naturwissenschaft und Technik. „Wir

gehen davon aus, dass die nationale

Nuklearpolitik nur in einem breiteren

inter- und transnationalen Rahmen ver-

standen werden kann“, so Forstner, der

das Projekt an der FSU leitet. Deutsch-

land und Österreich haben eine lange

Tradition in der Kernenergieforschung.

Nach 1945 verhinderten die Allierten

zunächst, dass diese Länder eigene

Atomenergieprogramme entwickelten.

Um gesellschaftliche Akzeptanz warb

man in Deutschland dennoch, u. a. mit

dem Slogan „Unser Freund, das Atom“.

Während in der DDR die Technologie

der Sowjetunion übernommen wurde,

baute Österreich nach 1955 mit Hilfe der

USA seine Kernenergie aus. Für Forstner

ist dies gleich doppelt interessant: Ös-

terreich kooperierte mit internationalen

Organisationen, scheiterte mit seinem

nationalen Atomprogramm aber in den

1970er Jahren. „Die Analyse dieses

Scheiterns ist von Bedeutung für das

Verständnis aktueller Entwicklungen in

anderen europäischen Staaten, die den

Atomausstieg anstreben oder hinter sich

haben“, ist er überzeugt. 

biw

Dr.ChristianForst-

nerleitetdasEU-

Projekt.

Kontakt:

Tel.:03641/949510

E-Mail:christian. forstner@uni-jena.de

Foto:Wiedemann

Atomkerne am CERN erforschen

BMBF fördert mit zwei Millionen Euro kernphysikalisches Verbundprojekt

Sieben deutsche Universitäten erhalten

für kernphysikalische Experimente an

der Forschungsanlage ISOLDE 2,3 Mil-

lionen Euro vom Bundesministerium für

Bildung und Forschung (BMBF). ISOLDE

steht für „Isotope Separator On Line De-

vice“ und befindet sich am Europäischen

Kernforschungszentrum CERN in Genf.

Die Anlage kann exotische Atome erzeu-

gen, die beschleunigt und zu verschie-

denen Experimenten geleitet werden.

Beteiligt sind Arbeitsgruppen der TUs

in Darmstadt, Dresden und München

sowie der Universitäten Greifswald,

Jena, Köln und Mainz. Das BMBF stellt

die Mittel im Rahmen der Verbundfor-

schungsförderung für drei Jahre bereit.

Kurzlebig und selten

Die Forschungsteams führen Unter-

suchungen an seltenen Atomkernen

durch, die oft schon Sekundenbruchteile

nach ihrer Produktion wieder zerfallen.

Ihre Erzeugung ist eine Herausforde-

rung und führt oftmals zu lediglich sehr

geringen Teilchenzahlen. Für ihre Mes-

sungen entwickeln die Arbeitsgruppen

daher hochempfindliche Detektoren,

um die kurzlebigen Atomkerne nicht nur

nachzuweisen, sondern auch ihre Eigen-

schaften, wie Größe, Masse und Anre-

gungsspektrum, mit hoher Genauigkeit

zu vermessen. Ziel ist ein umfassendes

Verständnis der Struktur dieser Kerne.

Aus den Ergebnissen dieser Experi-

mente erhoffen sich die Wissenschaft-

ler Erkenntnisse über die kernphysi-

kalischen Vorgänge in Sternen, der

natürlichen Umgebung dieser radioak-

tiven Kerne. Insbesondere sind deren

Eigenschaften wesentlich für das Ver-

ständnis der Prozesse unter den extre-

men Bedingungen, wie sie in Sternen

herrschen, die größer und schwerer als

unsere Sonne sind. Dort sind außer den

ganz leichten Kernen wie Wasserstoff

und Helium, die schon nach dem Urknall

vorhanden waren, praktisch alle anderen

Kerne und damit die entsprechenden

chemischen Elemente entstanden, aus

denen unsere Umwelt und auch wir

Menschen selbst aufgebaut sind.

Über die kern- und astrophysikalische

Grundlagenforschung hinaus finden die

von ISOLDE zur Verfügung gestellten

radioaktiven Kerne auch Anwendung bei

der Untersuchung von Festkörpereigen-

schaften und medizinischen Fragestel-

lungen, die von den Entwicklungen der

experimentellen Methoden ebenfalls

profitieren. 

PM

Foto:J.Scheere

Kontakt:

Prof.Dr.Stephan

Fritzsche

Tel.:03641/947606

E-Mail:stephan. fritzsche@uni-jena.de

Gefördertwirdu.a.einProjektderJenaerAr-

beitsgruppevonProf.Dr.StephanFritzsche,

LehrstuhlinhaberfürKorrelierteQuantensys-

teme/Theorie.