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FSU-Newsletter/Sommer 2017

Gesellschaft und Islam

Terrorismus und Flüchtlingsbewegungen haben das Bild des

Islam in Deutschland zuletzt deutlich beeinflusst. Viele Men-

schen nehmen eine Bedrohung durch Überfremdung wahr

und haben eine negative Haltung gegenüber der zweitgröß-

ten Weltreligion eingenommen. Jenaer

Kommunikations- und Sozialwissenschaft-

ler haben in einem Buch Ergebnisse zum

Thema „Muslime, Flüchtlinge und Pegida“

vorgelegt. Darin werden Erkenntnisse aus

aktuellen Studien und Abschlussarbeiten

von Studierenden verarbeitet. Der Heraus-

geber Prof. Dr. Wolfgang Frindte widmet

sich dabei zunächst einer klaren Einordnung

des zeitlichen und gesellschaftlichen Rah-

mens, in dem sich ein Zeitalter vielfältiger

Bedrohungslagen entwickelt hat. Er blickt zurück und legt dar,

dass auch wirtschaftliche und politische Entwicklungen seit

1990 Weichen für die aktuellen Konflikte gestellt haben.

Die Wissenschaftler stellen fest, dass Menschen, die häu-

figer Privatsender im Fernsehen anschauen, mehr Angst vor

Anschlägen und eine negative Einstellung gegenüber dem

Islam haben. Zudem bewies eine Studie, dass, wer dazu

neigt, Medien als „Lügenpresse“ zu bezeichnen, dem Islam

und Muslimen gegenüber negativ eingestellt ist und stärkere

Ängste in Bezug auf die Religion in sich trägt.

sh

WolfgangFrindteundNicoDietrich(Hg.):Muslime,Flüchtlingeund

Pegida.Sozialpsychologischeundkommunikationswissenschaftliche

StudieninZeitenglobalerBedrohungen,SpringerVS,Wiesbaden2017,

312Seiten,49,99Euro,ISBN:978-3-658-17602-0

Neue Bücher

Verhütung = Frauensache

Verhütung war – und ist – Frauensache! Über Jahrhunderte

versuchten Frauen, der Schicksalhaftigkeit von Schwanger-

schaften zu entgehen und die Zeugung von Kindern auf den

Fall zu beschränken, in dem das Kind erwünscht ist. Die Ver-

hütung – von diversen Kräutertränken bis zu selbstgefertigten

Kondomen – stand jedoch immer unter dem hohen Risiko des

praktischen Scheiterns. Mit der Erfindung chemischer Kontra-

zeptiva, der „Pille“, sollte sich das endlich ändern.

Der Jenaer Historiker Prof. em. Dr. Lutz Niethammer hat

gemeinsam mit seiner Fachkollegin Prof. Dr. Silke Satjukow

von der Uni Magdeburg das Buch „Wenn die Chemie stimmt

…“ herausgegeben. Versammelt sind darin Aufsätze von

Historikern, Kultur- und Sozialwissenschaftlern, die auf zwei

wissenschaftliche Tagungen in Jena zurückgehen. „Es sind

Beiträge zu einer Kulturgeschichte der Fertilität“, sagt Silke

Satjukow. Ihrer Publikation vorangegangen ist „Die ‚Wunsch-

kindpille‘. Weibliche Erfahrung und staatliche Geburtenpolitik

in der DDR“, wozu die Historiker Dr. Annette Leo und Chris-

tian König an der FSU geforscht und Frauen ver-

schiedener Generationen über ihre Erfahrungen

mit der „Pille“ befragt haben. Offiziell begann die

Geschichte der „Wunschkindpille“ 1965 in Jena, als

der Volkseigene Betrieb „Jenapharm“ das neue

Verhütungsmittel unter dem Namen „Ovosiston“

auf den Markt brachte.

sl

LutzNiethammer/SilkeSatjukow(Hg.):„WenndieChe-

miestimmt…GeschlechterbeziehungenundGeburtenpla-

nungimZeitalterder‚Pille‘“,WallsteinVerlag,Göttingen

2016,424Seiten,39,90Euro,ISBN:978-3-8353-1741-3

Krisen prägen Kinder

Geradlinig verläuft der Prozess des Erwachsenwerdens nie.

Immer wieder gerät ein Kind in Ausnahmesituationen und

Krisen. Möglicherweise ist es gerade das Verhalten der Er-

ziehenden in solchen Zäsuren, das einen entscheidenden Ein-

fluss auf das Lernen eines Kindes hat. Davon jedenfalls war

Otto Friedrich Bollnow überzeugt. Bollnow, der

1903 in Stettin geboren wurde, hat sich ins-

besondere in der Lehrerbildung engagiert und

dabei eben genau diese Situationen besonders

gewichtet. „Von Bollnow geht damit vor allem

ein Impuls aus, die reflexive Selbstwahrneh-

mung der Pädagogen mit Blick auf Situationen

zu schulen, die jenseits des Unterrichts im en-

gen Sinne liegen“, sagt der Pädagoge Prof. Dr.

Dr. Ralf Koerrenz.

Dabei war Bollnow stark von einem der wohl

wichtigsten deutschen Existenzphilosophen,

Martin Heidegger, beeinflusst: Dieser vertrat die Annahme,

dass Ausnahmesituationen im Leben eines Menschen dessen

Persönlichkeit enorm prägen können. „Bollnow sah darin die

Herausforderung, Erziehung aus einer anderen Perspektive

betrachten zu müssen“, so Koerrenz. Mit den Hintergründen

dieser „unstetigen Form der Erziehung“ hat er sich in seinem

neuen Buch „Existentialism and Education“ auseinanderge-

setzt, das sein kanadischer Kollege Prof. Dr. Norm Friesen ins

Englische übersetzt und herausgegeben hat.

sh

RalfKoerrenz(Autor)undNormFriesen(Hg):ExistentialismandEdu-

cation:AnIntroductiontoOttoFriedrichBollnow,PalgraveMacmillan,

London/NewYork2017,115Seiten,52,99Euro,ISBN:978-3-319-48636-9

Aufarbeitung der Diktatur

„Es gibt keinen Königsweg für die Aufarbeitung einer Diktatur“,

sagt Osteuropahistoriker PD Dr. Jörg Ganzenmüller, der an

der FSU lehrt und zugleich Vorstandsvorsitzender der Stiftung

Ettersberg ist. Die Stiftung hatte im Herbst 2015 zu ihrem 14.

Symposium eingeladen, dessen wissenschaftlicher Ertrag nun

in Buchform vorliegt: „Recht und Gerechtigkeit“. Die Kernaus-

sage des Buches: Mit den Mitteln der Justiz sind Diktaturen

nur unzureichend aufzuarbeiten. Im ersten Kapitel hat Jutta

Limbach das Dilemma der Juristen umrissen: DieTäter können

sich auf das zur Tatzeit geltende Recht berufen.

Die strafrechtliche Aufarbeitung von Diktaturen geschieht

vielmehr im gesellschaftlichen Kontext, sagt Ganzenmüller. In

der Hinsicht können Historiker von den Juristen lernen – und

umgekehrt. So gehe es in dem Band nicht darum, ein Muster

für den Umgang mit Diktaturen zu ent-

werfen, sondern um eine Darstellung

der unterschiedlichen Wege, die bei der

Aufarbeitung von Diktaturen beschritten

wurden – von der Öffnung der Akten bis

hin zu deren Vernichtung, von der Ein-

richtung von Wahrheitskommissionen

bis hin zur gesellschaftlichen Amnesie.

Nur in einem Umstand gleichen sich alle

postdiktatorischen Gesellschaften: Das

begangene Unrecht hat ein langes Nach-

leben.

sl

JörgGanzenmüller(Hg.):„RechtundGerechtigkeit.Diestrafrechtliche

AufarbeitungvonDiktatureninEuropa“,BöhlauVerlag,KölnWeimar

Wien2017,312Seiten,35Euro,ISBN:978-3-412-50548-6