11
Uni-Journal Jena12/15
Position
Angriffe auf Demokratie und Kultur
Wolfgang Frindte über islamistische und rechtsextreme Gewalt
Islamistische Terroristen haben am 13.
November in Paris mehrere Veranstal-
tungen und Vergnügungsorte ange-
griffen und weit mehr als einhundert
Menschen getötet. „Was sich gestern
ereignet hat, ist ein Kriegsakt“, sagte
der französische Präsident François Hol-
lande einen Tag danach. Und es ist of-
fensichtlich: Die fanatischen Mörder, ob
sie Anhänger des „Islamischen Staat“
sind oder zu al-Qaida oder Boko Haram
gehören, führen Krieg gegen die Wert-
und Lebensvorstellungen der demokra-
tischen Gesellschaften.
Nach den tödlichen Anschlägen in Pa-
ris verstärkte sich in Europa und auch in
Deutschland der Widerstand gegen die
Aufnahme syrischer Flüchtlinge. Lutz
Bachmann, der Hauptorganisator von
PEGIDA in Dresden, postete nach den
Terrorangriffen, „dass die Politik der of-
fenen Grenzen und desWelcome-Jubels
definitiv eine Mitschuld an denToten und
Verletzten trägt“. Innenminister Thomas
de Maizière bat in einer Pressekonferenz
nach denTerroranschlägen darum, „dass
jetzt nicht vorschnell irgendein Bogen
zur Debatte um das Thema Flüchtlinge
geschlagen wird“. Auch die deutschen
Sicherheitsbehörden finden bisher keine
Belege dafür, dass sich Terroristen unter
die Flüchtlinge mischen würden. So et-
was sei zwar möglich, aber eher unwahr-
scheinlich, so der Präsident des Bundes-
amts für Verfassungsschutz, Hans-Georg
Maaßen am 15. November 2015.
Vorurteile geringer als erwartet
Bereits vor den Anschlägen von Pa-
ris gingen vor allem in Ostdeutschland
Anhänger der PEGIDA auf die Straße,
um gegen die vermeintliche Unterwan-
derung unserer Gesellschaft durch den
Islam zu demonstrieren. Leben die Men-
schen in Deutschland also in Angst vor
dem Islam? Nein; zumindest nicht bis
zum 13. November.
Im Juli und August 2015 befragten
wir knapp 1000 Menschen im Alter von
15 bis 85 Jahren in ganz Deutschland
über ihre Einstellungen zu Muslimen
und zum Islam. Die gute Nachricht: Die
Vorurteile gegenüber dem Islam und den
Muslimen sind geringer als erwartet. So
stimmen 25 Prozent der Befragten in
Ost- und Westdeutschland der Aussage
zu „Der Islam ist eine Bedrohung für
unsere Gesellschaft“, 68 Prozent lehnen
diese Aussage ab. 21 Prozent meinen,
es gebe zu viele Muslime in Deutsch-
land, während 66 Prozent eine solche
Sichtweise überhaupt nicht teilen. Insge-
samt finden sich in den neuen Bundes-
ländern wesentlich mehr Vorurteile ge-
genüber dem Islam und den Muslimen
als imWesten der Republik. In den alten
Bundesländern äußern knapp 21 Prozent
starke Vorurteile gegenüber dem Islam,
knapp 6 Prozent starke Vorurteile gegen-
über Muslimen in Deutschland und 11
Prozent ängstigen sich vor dem Islam.
In den neuen Bundesländern dagegen
haben 34 Prozent ausgeprägte Vorurteile
gegenüber dem Islam, 14 Prozent starke
Vorurteile gegenüber den Muslimen und
23 Prozent meinen, große Ängste vor
dem Islam zu haben. Ebenso fällt auf: Je
mehr Migranten in einer Region leben,
desto positiver gestalten sich die Ein-
stellungen zu Muslimen. Die viel zitierte
„Angst vor dem Unbekannten“ scheint
also zuzutreffen.
Fundamentalistische Ideologie
Und doch sorgen sich die deutschen
Sicherheitsbehörden wegen der Zu-
nahme rechtsextremer Gewalt. Von Juli
bis September 2015 wurden 293 poli-
tisch motivierte Delikte registriert, bei
denen eine Flüchtlingsunterkunft der
Tatort war. Angeheizt werden solche
Übergriffe besonders durch rechtspopu-
listische Bewegungen, die scheinbar mit
den herkömmlichen Vorstellungen von
Rechtsextremismus nichts zu tun haben.
Doch sie haben damit zu tun. Sozi-
alwissenschaftlerinnen und Sozialwis-
senschaftler haben seit Jahren darauf
aufmerksam gemacht, dass Rechtsext-
reme eine fundamentalistische Ideolo-
gie der Ungleichwertigkeit (verbunden
mit Fremdenfeindlichkeit und Antisemi-
tismus) vertreten und bereit sind, diese
Ideologie auch mit Gewalt in die Tat um-
zusetzen. Indem die neuen Brandstifter
in Deutschland ihre Feindseligkeit ge-
genüber den Flüchtlingen zum Ausdruck
bringen, verbreiten sie eben diese Ideo-
logie der Ungleichwertigkeit. Und wenn
sie, diese Brandstifter, Asylbewerber-
heime anzünden, so verhalten sie sich
gewalttätig, nicht nur gegenüber den
Flüchtlingen, sondern auch gegenüber
unserer Demokratie.
Wir wissen, dass fremdenfeindliche
und rechtsextreme Personen autoritä-
rer sind, dass sie Menschen ablehnen
und zu dominieren versuchen, die – aus
welchen Gründen auch immer – anders
sind, dass Fremdenfeindlichkeit und
Rechtsextremismus keine Jugendpro-
bleme sind und nur relativ wenig mit
dem Bildungsstand zu tun
haben; wir wissen auch, dass
Fremdenfeindlichkeit und
Rechtsextremismus in den
ostdeutschen Bundesländern
ausgeprägter sind als in den
westdeutschen; wir wissen
ebenfalls, dass diejenigen,
denen die Identifikation mit
Deutschland besonders wich-
tig ist, eher zu Fremdenhass
neigen, als jene, die sich an
den europäischenWerten der
Freiheit und Gerechtigkeit ori-
entieren; wir wissen, dass es
in Deutschland Regionen gibt,
in denen die Fremdenfeinde und Rechts-
extremen mittlerweile die Alltagskultur
dominieren; und wir wissen, dass Frem-
denfeindlichkeit, Antisemitismus und
Rechtsextremismus keine Randphäno-
mene unserer reichen Gesellschaft sind.
Die Angriffe auf die Flüchtlingsheime
und die Wut, die von den Fremdenfein-
den ganz offen auch in den Medien
geäußert werden, sind vor allem Anzei-
chen dafür, dass wir uns wirklich fragen
müssen, ob wir genügend Ideen für die
Zukunft unserer Gesellschaft haben.Wer
meint, eine Gesellschaft sei im Kern in-
takt, braucht keine Utopie. Aber ist diese
deutsche Gesellschaft intakt und welche
Utopien sind notwendig, wenn diese
Gesellschaft nicht intakt ist?
Über Werte zu diskutieren, etwa jene,
wie sie in der Erklärung der Menschen-
rechte von 1789 proklamiert wurden
(Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) oder
in der UN-Menschenrechtscharta aus
dem Jahre 1948 verankert sind, heißt
auch, über Gesellschaftsutopien zu dis-
kutieren.
Die rechtsextremen und rechtspopu-
listischen Bewegungen in Deutschland
sind an einer solchen Diskussion ebenso
wenig interessiert wie die Islamisten,
von denen es in Deutschland auch nicht
wenige gibt. Sie ziehen sich auf schein-
bar gesicherte Fundamente zurück: Auf
den Nationalismus (im patriotischen
Hemdchen) oder auf die Religion, die
zur umfassenden Ideologie erklärt wird.
Die rechtsextremen und rechtspopulisti-
schen Bewegungen in Deutschland (und
anderswo) sind ebenso fundamentalis-
tisch und rückwärts gewandt wie die
islamistischen Fundamentalisten.
Und deshalb reicht es jetzt. Es geht
um unsere Freiheit und um die, die um
unseren Schutz nachsuchen. Es geht um
Menschenwürde, Gerechtigkeit und Mo-
ral und um unsere Zukunft.
Kommunikations-
psychologeProf.Dr.
WolfgangFrindtehat
mitseinemTeamdie
EinstellungderMen-
scheninOst-und
Westdeutschland
zumIslamunter-
sucht.Ersieht,wie
dieMehrheitder
Deutschen,imIslam
keineBedrohung
fürunsereGesell-
schaft,wohlaberin
rechtspopulistischen
Bewegungen,die
sichdenislamisti-
schenTerrorzunutze
machen.
Foto:Günther