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Uni-Journal Jena11/14
„Schule für das Leben durch
das Leben“, so lautete das
Credo des belgischen Päda-
gogen Ovide Decroly (1871-
1932). Die Erziehungswis-
senschaftlerin Dr. Annika
Blichmann hat ihre Disser-
tation über den Reformpä-
dagogen geschrieben, die
jetzt als Buch erschienen ist:
„Erziehung als Wissenschaft.
Ovide Decroly und sein Weg
vom Arzt zum Pädagogen.“
„Ovide Decroly stellte in-
haltlich die Interessen der
Kinder in den Mittelpunkt
seines Unterrichts“, so Blich-
mann. Der Pädagoge habe
einen herausragenden Bei-
trag zur Begründung einer
Erziehung als Wissenschaft geleistet. In
seinen systematischen und nachprüfba-
ren Vorgehensweisen habe Decroly den
Forschungswegen der experimentellen
Pädagogik entsprochen.
sl
Eine fundierte wissenschaft-
liche Analyse der Partei Die
Linke bietet das jüngst er-
schienene Buch „Die Linke.
Willensbildung in einer
ideologisch zerstrittenen
Partei“ von Prof. Dr. Tors-
ten Oppelland (Uni Jena)
und Dr. Hendrik Träger (Uni
Leipzig). Die beiden ausge-
wiesenen Parteienforscher
untersuchen die historische
Tradition eines gespaltenen
linken Lagers ebenso wie
die Willensbildungsmuster in
der Linkspartei. Als Weltan-
schauungs- und pluralistische
Sammlungspartei ist sie in
besonderem Maße auf Inte-
grationsleistungen angewie-
sen. Gleichzeitig werden strategische
Erfahrungen und Optionen analysiert.
Die Publikation ist erschienen in einer
von Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte (Univer-
sität Duisburg-Essen) herausgegebenen
Reihe zu den deutschen Parteien, die
den Schwerpunkt auf innerparteiliche
Entscheidungsprozesse legt.
PM
„Die Romantik
war keineswegs
bloß eine deut-
sche Affäre“, sagt
Prof. Dr. Michael
Dreyer. Der Poli-
tikwissenschaftler
widerspricht da-
mit Rüdiger Saf-
ranski, der dieses
Verdikt erhoben
hatte. Vielmehr, so
Dreyer, sei die Ro-
mantik europaweit
als Idee aufgegrif-
fen worden.
G e m e i n s a m
mit dem Histori-
ker Prof. Dr. Klaus
Ries unternimmt
Michael Dreyer den Versuch, das fest-
gefügte Bild der Romantik zu revidieren.
In dem Buch „Romantik und Freiheit.
Wechselspiele zwischen Ästhetik und
Politik“ haben die beiden Herausgeber
der Zivilisation zu-
rückgezogen, um
herauszufinden,
was im Leben un-
verzichtbar ist.
Stephan Lorenz
plädiert jedoch
keineswegs für
eine asketische
L e b e n s we i s e ,
er fragt vielmehr
nach dem Sinn
vonWachstum um
des Wachstums
willen. Aktuell sei
es doch so, dass
neue technische
Errungenschaften
neue Probleme
aufwerfen, zu de-
ren Lösung wie-
derum technische Errungenschaften
verhelfen sollen.
Inzwischen, so das Fazit von Lorenz,
gewinnt die Forderung nach einer nach-
haltigen Lebensweise immer mehr an
Gewicht. Sein Buch will dazu Denkan-
stöße geben.
sl
Neue Bücher
Romantik neu bewertet
Epoche war nicht nur ein ästhetisches Projekt
Willensbildung in
der Linkspartei
Von der Schule des
Lebens
Wachstum als Wert?
Wachstumskritik aus soziologischer Perspektive
TorstenOppelland,
HendrikTrä
ger:DieLinke–Willens-
bildungineiner
ideologischzerstrit-
tenenPartei,Nomos
Verlag,Baden-Baden
2014,263Seiten,
19,90Euro,ISBN978-
3-8329-6965-3
AnnikaBlichmann:
„ErziehungalsWis-
senschaft.Ovide
Decrolyundsein
WegvomArztzum
Pädagogen“,Fer-
dinandSchöningh
Verlag,Paderborn
2014,237Seiten,34,90
Euro,ISBN978-3-506-
77779-9
StephanLorenz:
„Mehroderweniger?
ZurSoziologieökolo-
gischerWachstums
kritikundnachhal-
tigerEntwicklung“,
transcriptVerlag,
Bielefeld2014,138
Seiten,19,99Euro,
ISBN978-8376-2776-3
MichaelDreyer,
KlausRies(Hg.):
„RomantikundFrei-
heit.Wechselspiele
zwischenÄsthetik
undPolitik“,Univer-
sitätsverlagWinter,
Heidelberg2014,304
Seiten,48Euro,ISBN
978-3-8253-6190-7
Leben wir in einer Überflussgesellschaft,
die rücksichtslos die Ressourcen des
Planeten plündert? Zerstören wir die
Lebensgrundlagen künftiger Generatio-
nen? Das Unbehagen an der Moderne
ist weitverbreitet, doch äußerst diffus.
Es kommt mal als Kapitalismuskritik da-
her, mal als Kritik an der Industriegesell-
schaft oder der Konsumgesellschaft. Im
Blickpunkt steht häufig Wachstum, das
als bedrohlich wahrgenommen wird,
aber in der Politik längst zu einem Man-
tra geworden ist.
„In der Politik ist es einfach: Wer kein
Wachstum verspricht, wird nicht ge-
wählt“, sagt der Soziologe Dr. Stephan
Lorenz. Wer Wachstum in Frage stellt,
werde nicht mehr ernst genommen.
Diesem Mechanismus des gesell-
schaftlichen Diskurses geht Lorenz in
seinem Buch „Mehr oder weniger? Zur
Soziologie ökologischerWachstumskritik
und nachhaltiger Entwicklung“ nach. Ba-
sis seiner Überlegungen ist Henry David
Thoreaus Bericht „Walden“, der als Mani-
fest einer experimentellen Lebensweise
interpretiert werden kann. Thoreau hatte
sich 1845 für zwei Jahre weitgehend aus
14 Aufsätze von Autorinnen und Autoren
zusammengetragen, die sich dem Phä-
nomen Romantik aus dem Blickwinkel
verschiedener Wissenschaftsdisziplinen
nähern.
„Natürlich war die Romantik auch
rückwärtsgewandt“, sagt Ries. Doch die
Betonung liege auf dem „auch“, denn
in ihrem Ursprung sei die romantische
Bewegung eine progressive gewesen.
Zudem, so Ries, eine passende Ergän-
zung zur „reinen Vernunft“ der Aufklä-
rung. Weil in der Romantik Gefühle und
Emotionen betont wurden, werde sie
nahezu ausschließlich als ästhetisches
Projekt wahrgenommen.
In der Politikwissenschaft sei die Ro-
mantik überhaupt kein Thema, konsta-
tiert Prof. Dreyer. Verantwortlich dafür
sei Carl Schmitt, der in seiner Schrift
„Politische Romantik“ vom „Quell allen
Übels“ geschrieben habe. Dabei, so
Dreyer, sei der Liberalismus des frühen
19. Jahrhunderts eine zunächst romanti-
sche Bewegung gewesen.
sl