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Uni-Journal Jena11/14
Wolfram Hogrebe
amtierte als De-
kan an der Uni-
versität Düssel-
dorf. Da erreichte
ihn einen Tag vor
Heiligabend 1991
ein Anruf von Dr.
Klaus Kübel, dem
Kanzler der FSU:
Er möge doch ab
Sommersemes-
ter 1992 als Ver-
tretung in Jena
anfangen. Vorausgegangen war eine
Bewerbung Hogrebes, den es gereizt
hatte, nach Jena zu gehen. „Jena ist ein
klingender Name in der Philosophie!“
Und so pendelte Prof. Hogrebe fortan
zwischen Düsseldorf und Jena: von
Samstag bis Dienstag Dekanat Düssel-
dorf, mittwochs per Bahn nach Jena –
damals achteinhalb Stunden –, donners-
tags von 9-11 Uhr Vorlesung, 11-13 Uhr
Proseminar, 14-16 Uhr Hauptseminar,
16-18 Uhr Kolloquium. Freitags Rück-
fahrt nach Düsseldorf. Als im Oktober
1992 ein neuer Dekan in Düsseldorf ge-
wählt wurde, war Hogrebe bereits Be-
amter des Freistaates Thüringen.
Ein Antrittsbesuch führte Wolfram
Hogrebe auch zu Lothar Späth, der ein
halbes Jahr zuvor die Jenoptik übernom-
men hatte. Auf die Frage nach einem
Tipp habe sich Späth einmal mit dem
Sessel um die eigene Achse gedreht
und gesagt: „Egal wie, nehmen sie al-
les Geld, was sie bekommen können
und finanzieren sie damit den Aufbau.
Jetzt muss der Bund zahlen, in drei Jah-
ren lässt das spürbar nach.“ Diesen Rat,
sagt Hogrebe heute, habe er beherzigt.
Bei seinem ersten Besuch in Jena
konnte ihn das „städtebauliche Desas-
ter“ nicht überraschen – Hogrebe hatte
dienstlich zuvor bereits Leipzig und Halle
kennengelernt. Aber: „Die Landschaft
ringsum hatte und hat einen betörenden
Charakter!“
Weniger betörend stand es um die
Philosophische Fakultät der FSU. Nur
wenige Professuren seien übernommen
worden, die meisten wurden in den Ab-
wicklungsprozess einbezogen. Hogrebe
erklärte sich bereit, von Anfang 1993
an für ein Jahr das Amt des Dekans zu
übernehmen. Zu den größten Proble-
men der Anfangszeit zählt Hogrebe die
Wohnungsnot in der Stadt. So hätten
die meisten neuberufenen Professoren
zunächst in Gästehäusern untergebracht
werden müssen. Doch das habe auch
Prof.Dr.Wolfram
Hogrebebeiseinem
Festvortraganlässlich
desSchillertages2002
inderAuladerFSU.
DerPhilosoph(heute
69)kamzumSom-
mersemester1992als
Gründungsdekanan
diePhilosophische
Fakultät.Biszum
Wintersemester
1996/97hatteerden
LehrstuhlfürTheo-
retischePhilosophie
inne.
Fotos(2):Günther
Jenaer Aufbaujahre
Wolfram Hogrebe und Peter Oberender erinnern sich
gute Seiten gehabt. Trafen sich doch die
wohnungslosen Kollegen und Kollegin-
nen am Abend im Restaurant „Ina M“
in der Weigelstraße, wo man durchaus
Fakultätssitzungen hätte abhalten kön-
nen. „Dort wurden relevante Fragen
vorbesprochen, was das Tempo des
Neubeginns erhöhte“, erinnert sich Ho-
grebe. Und um Tempo sei es durchaus
gegangen, angesichts der Konkurrenz
zu Leipzig oder der Humboldt-Uni Berlin.
Als schönste Erinnerung an die An-
fangszeit nennt Hogrebe die Intensität
der Zusammenarbeit mit den Kollegen.
„Persönlichkeiten wie die Rektoren
Schmutzer und Machnik sowie die Pro-
rektoren Wechsung und Meinhold – al-
les alte Jenenser – waren für mich eine
große Bereicherung.“ Hinzu kamen Neu-
berufene, vom Senat und Kanzler Kübel
handverlesen, mit denen sei es „eine
Lust gewesen, die Universität wieder
auf Vordermann zu bringen“. Überhaupt
sei die erstberufene „Mann- und Frau-
schaft“ wirklich erstklassig gewesen.
Ein Verdienst des Kanzlers Klaus Kübel,
der „unerbittlich auf Qualität setzte.“
An Jena habe er nur die besten Erin-
nerungen, sagt Hogrebe heute. Anders
sehe es mit Blick in die Landeshaupt-
stadt aus: „Schon damals ein unan-
genehmes Problem war allerdings die
Hochschulpolitik in Erfurt.“ So sei dort
eine „überflüssige neue Universität“
gegründet worden, wasThüringen finan-
ziell nicht stemmen könne. Zumindest,
wenn das Niveau gehalten werden soll,
sagt Hogrebe. „Seiner“ Universität Jena
wünscht er auch in Zukunft alles Gute!
Tolle Aufbruchstimmung
„Es herrschte eine tolle Aufbruchstim-
mung damals in Jena“, ist auch die Er-
fahrung Peter Oberenders, der im März
1990 an die Jenaer Universität kam. Die
Menschen seien trotz mannigfacher
Probleme begeisterungsfähig gewesen,
zudem hätten sich große Gestaltungs-
spielräume ergeben. Als Gründungsde-
kan der Wirtschaftswissenschaftlichen
Fakultät stand Prof. Oberender vor der
Herausforderung, eine Fakultät bei lau-
fendem Lehrbetrieb auf die Beine zu
stellen. „Wir hatten 127 Menschen,
die ohne Arbeitsvertrag dastanden,
außerdem mussten rasch Lehrstühle
neu besetzt werden“, erinnert sich der
Volkswirt. Dabei sei es unproblematisch
gewesen, dass sich einige der alten
Fachleute erneut bewarben. Wer aber
die marxistisch-leninistisch geprägte
Wirtschaft gelehrt habe, für den sei kein
Platz mehr gewesen. Genau wie für
zwei oder drei Mitarbeiter, denen Stasi-
Mitarbeit zur Last gelegt worden war.
Peter Oberender sagt, dass zahlreiche
Studierende kurz vor dem Abschluss ih-
rer Diplomarbeiten oder Dissertationen
standen: „Fachlich waren die meisten
Arbeiten in Ordnung, wir mussten nur
die umfangreichen politischen Einleitun-
gen streichen.“ Insgesamt sei es darum
gegangen, menschlich zu handeln und
den Mitarbeitern Alternativen aufzuzei-
gen.
Die größte technische Hürde sei es
gewesen, geeignete Räume für die Fa-
kultät zu finden, so Oberender. Er habe
in jener Zeit Vorlesungen im Kino gehal-
ten, imTheaterhaus und auch im großen
Hörsaal der Physik.
Nach einer intensiven und arbeits-
reichen Zeit sei es gelungen, die Wirt-
schaftswissenschaftliche Fakultät am
6. Dezember 1990 wieder zu eröffnen.
„Die Zeit in Jena war für mich sehr prä-
gend und eine sehr wichtige Erfahrung,
die ich nicht missen möchte“, konstatiert
Prof. Oberender. Bis heute stehe er mit
der Universität und der Stadt in herzli-
cher Verbindung, so ist er u. a. Mitglied
des Verwaltungsrates des Universitäts-
klinikums Jena.
sl
Prof.Dr.PeterOberender(heute73)während
derGründungsveranstaltungderWirtschafts-
wissenschaftlichenFakultätam6.Dezember
1990.DergebürtigeNürnbergernahmim
März1990seineArbeitinJenaaufundblieb
bisEndeSeptember1994anderFSU.Der
VolkswirtbegründetedenStudiengangGe-
sundheitsökonomieanderUniversitätBay-
reuthundistbisheuteunternehmerischtätig.
FSU intern