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Uni-Journal Jena11/14
Tagungen
Lehren der friedlichen Revolution!?
Kolloquium und Konzert zur Erinnerung an Jürgen Fuchs
Wer war Jürgen Fuchs? Eignet sich der
Regimekritiker und Künstler als Vorbild?
Und lassen sich aus seinem Leben und
der „Revolution mit friedlichem Aus-
gang“ (Udo Scheer) vor 25 Jahren Leh-
ren für Gegenwart und Zukunft ziehen?
Diese Fragen standen im Mittelpunkt
eines Kolloquiums, das das Collegium
Europaeum Jenense (CEJ) an der Fried-
rich-Schiller-Universität Jena (FSU) mit
zahlreichen Partnern und Förderern am
16. Oktober ausgerichtet hat – und damit
seinen „Wurzeln“ und seinem Gründer
endlich wieder in besonderer Weise ge-
recht wurde. Bereits am Abend zuvor
gab ein Konzert „Ich schweige nicht,
Jürgen-Fuchs-Zyklus von H. Johannes
Wallmann“ – oder besser eine Raum-
Klang-Komposition – eine künstlerische
Antwort. Untertitelt hat der Berliner
Komponist Wallmann sein Werk mit
„Musik im Raum für Sopran, Bariton,
Saxofonquartett und Percussion.“ Teil
der Aufführung waren Texte von Jürgen
Fuchs bis Edward Snowden, dazu kamen
Fotoprojektionen von Harald Hauswald.
Aus Anlass des Jubiläums „25 Jahre
Friedliche Revolution“ widmete sich das
CEJ unter dem Titel „Leben ohne Frei-
heit. Jürgen Fuchs und die DDR. Welche
Lehre?“ dem Leben undWirken von Jür-
gen Fuchs (1950-1999).
Fuchs studierte Sozialpsychologie an
der FSU. Kurz vor Ende seines Studiums
– die Diplomarbeit war bereits mit „sehr
gut“ bewertet worden – wurde der Bür-
gerrechtler exmatrikuliert und erhielt
damit Berufsverbot. Der Regimekritiker
und Autor kam im Zuge der Proteste ge-
gen die Ausbürgerung Wolf Biermanns
in Stasihaft. Im Jahr 1977 folgte die Aus-
bürgerung in die BRD, wo ihn die Stasi
aber weiterhin bekämpfte. Im April 1992
wurde Jürgen Fuchs gemeinsam mit an-
deren einstigen Dissidenten von der Uni-
versität rehabilitiert. Und Fuchs besuchte
diese, seine Universität – trotz des Un-
rechts, das sie ihm angetan hatte – z.
B. um in den von Edwin Kratschmer ini-
tiierten Jenaer Poetik-Vorlesungen 1993
über „Poesie und Zersetzung“ zu spre-
chen und bei der Vergangenheitsklärung
zu helfen. 1999 starb der Bürgerrechtler
im Alter von 48 an Leukämie.
„ZentralesThema des Kolloquiums ist
Jürgen Fuchs‘ Ausspruch: Ich schweige
nicht, anhand dessen wir über die Be-
schränkung von Kunst undWissenschaft
in Diktaturen diskutiert haben“, sagt
CEJ-Kurator Prof. Dr. Martin Hermann.
Insbesondere ging es um Künstler und
Wissenschaftler, die sich trotz drohender
Repressalien nicht
dem jeweiligen
Regime angepasst
haben, wie die Re-
ferenten aus Wis-
senschaft, Kunst
und Oppositions-
bewegung auf
unterschiedlichen
Ebenen darlegten.
Fuchs habe ver-
sucht, in der Wahr-
heit zu leben. „Er
gibt Anregungen
zum Weiterden-
ken“, nannte Prof.
Dr. Gottfried Mein-
hold, der ehema-
lige Prorektor und
Sp r e chw i s s e n -
schaftler der FSU,
einen wichtigen Aspekt des Kolloquiums
und von Fuchs‘ Leben. Fuchs habe es
sich niemals leicht gemacht. So sei er in
die SED eingetreten, um sie von innen
heraus zu reformieren. Sein Leben, so
Meinhold, habe Maßstäbe der Konse-
quenz und Unerschrockenheit gesetzt.
Mahnung undVorbild
Ob sein Weg und seine Haltung aber
für alle zur Nachahmung geeignet seien,
darüber gab es – sowohl was die DDR-
Zeit als auch das Heute betrifft – durch-
aus unterschiedliche Meinungen. Dass
Fuchs aber geeignet sei, als Mahnung
und Vorbild zu wirken, darüber bestand
Einigkeit. Besonders deutlich wurde dies
bei der abschließenden Podiumsdiskus-
sion, die die Frage thematisierte, wie frei
Kunst und Wissenschaft hier und heute
sind, und fragte: Welche Lehren wurden
gezogen?
Nicht einig war man sich darüber, wie
groß dasWissen um DDR und „Wende“
bei der heutigen Jugend sei. Man muss
das Interesse anstoßen, nur so sei die
Jugend für das Thema zu interessieren,
sagte etwa der Musikwissenschaftler
Prof. Dr. Albrecht von Massow. „Wir
müssen die Freiheit erzählen“, unter-
stützte der Theologe Dr. Erhart Neubert.
Allerdings brauche man auch Zeit, um
über Freiheit zu reflektieren, ergänzte
die Künstlerin Gabriele Stötzer und wies
damit auf ein Manko der Gegenwart hin.
Andererseits bleibe die Frage, ob aus
der Geschichte gelernt werden könne,
da Freiheit vielfältig sei und in individuel-
len Ausformungen existiere. Daher dürfe
der Blick nicht verengt werden nur auf
eine Seite oder aus einer Perspektive
über die Vergangenheit geurteilt werden.
Und da es auch keine stereotypen Bio-
grafien gebe, sehe Widerstand äußerst
verschieden aus. Wichtig sei, dass es
Widerstand gegen Unterdrückung und
Einschränkungen der Menschenrechte,
der Freiheit gebe. Selbsteinschränkun-
gen, so wurde deutlich, habe es früher
wie heute gegeben. Sie zu überwinden
und sich für Freiheit einzusetzen, sei
ein großes und wichtiges Ziel – für die
Gesellschaft genauso wie für die Uni-
versität und die Wissenschaft. Jürgen
Fuchs und seine kritische, oppositionelle
Haltung sei daher ein geeignetes Vorbild
– wenn auch für jeden in individueller
Form.
Konzert und Kolloquium zeigten ei-
nige Facetten von Jürgen Fuchs und der
Oppositionsbewegung in der DDR auf –
viele andere blieben zwangsläufig uner-
wähnt und sind der weiteren Diskussion
wert. Auch damit die leider nur spärlich
vertretene Jugend die Gelegenheit er-
hält, mehr über diese Zeit und Geistes-
haltungen zu erfahren.
AB
Beimaußergewöhn-
lichenKonzertzum
Jürgen-Fuchs-Zyklus
vonH.Johannes
Wallmannmusi-
ziertenKatharina
Hohlfeld,Matthias
Vieweg,AdamWeis-
mann,MatthiasBad-
czong,WinfriedRa-
ger,AndreiLakisov
undIvanTumanov;
diemusikalischeLei
tunghatteLennart
Dohms.
Fotos(2):J.Scheere
WährenddesKol-
loquiumssprachen
Prof.Dr.Gottfried
Meinhold(r.)über
„Dasexistenzielle
Dilemmainderlage-
risiertenGesellschaft
–JürgenFuchsund
dieMaßstäbe“und
Oberbürgermeister
Dr.AlbrechtSchröter
überdie„Friedliche
RevolutioninJena“.