27
Uni-Journal Jena11/14
Porträt
Kein Ossi, einfach nur Deutsche
Mareike Adler ist es egal, ob jemand Ost- oder Westdeutscher ist
Mareike Adler ist in Ludwigsfelde
geboren und aufgewachsen, einer bran-
denburgischen Kleinstadt südlich von
Berlin. Zum Tag der deutschen Einheit,
am 3. Oktober 1990, war sie nicht ein-
mal ein Jahr alt, die DDR kennt sie nur
aus Geschichtsbüchern und von den Er-
zählungen ihrer Eltern. „Ich interessiere
mich dafür, wie es früher war und ich
höre meinen Eltern gern zu, wenn sie
von damals erzählen“, sagt Mareike. Zum
Beispiel die Geschichte vom Abend ih-
rer Geburt, als ihre Mutter im Kranken-
haus lag und die Hebamme nirgends
zu sehen war. Erst am nächsten Tag
erfuhr sie von den jungen Vätern, die
„Westzeitschriften“ mitbrachten, dass
die Mauer offen ist und ließ sich ein Ra-
dio mitbringen, weil sie nicht glauben
konnte, dass das wahr ist. Oder die vie-
len kleinen Geschichten über den Alltag
in der DDR und wie die allgegenwärtige
Mangelwirtschaft Familie, Freunde und
Nachbarn zusammenschweißte, da je-
der dem anderen aushalf. „Diese Ge-
schichten sind wirklich spannend und
oft auch sehr lustig“, sagt Mareike Adler.
Die DDR, die Wende und die Wieder-
vereinigung – in ihrem eigenen Alltag
spielen diese Themen allerdings keine
große Rolle. „Ob Ost oder West – das
ist nicht so wichtig. Wir sind doch ein
Deutschland“, sagt die 25-Jährige. Auch
in ihrem Freun-
deskreis ist die
Herkunft kein
Thema: „Wir sind
eine bunte Mi-
schung aus Ossis
und Wessis und
es sind einfach al-
les nette Leute!“
Manchmal merke
man zwar schon,
dass jemand an-
ders aufgewach-
sen ist, am Auf-
treten oder am
Sprachgebrauch.
„Aber eigentlich
lassen sich keine
Grenzen ziehen.“
Für die Betonung
von Ost-West-
Unterschieden in
Medienberichten
hat die Studentin
daher auch nur
wenig Verständnis:
„Wenn ich solche
Dinge lese, dann
denke ich immer:
‚Mensch, das ist doch längst vorbei!‘“
Schade findet sie aber, dass es noch im-
mer wirtschaftliche Unterschiede gibt.
Mareike Adler fühlt sich deshalb we-
der als Ossi noch als Brandenburgerin,
„sondern einfach als Deutsche.“ Und
während für viele, die in der DDR auf-
gewachsen sind, der erste Besuch „drü-
ben“ ein einschneidendes Erlebnis war,
ist es für Mareike nur eine Randnotiz in
ihrem Leben. Als Kind war sie mehrmals
mit ihren Eltern im anderenTeil Deutsch-
lands. Doch sie muss überlegen, wann
sie es erstmals bewusst erlebt hat. Erst
nach einer Weile fällt es ihr ein: „Ich
glaube, das war auf dem Frankfurter
Flughafen, nach dem Abitur.“
Von dort flog sie gemeinsam mit ei-
ner Freundin für einWork-and-Travel-Jahr
nach Australien. „Ich wollte nach der
Schule erst einmal raus, musste irgend-
wie ausbrechen“, erinnert sie sich. Nach
ihrer Rückkehr begann sie eine Ausbil-
dung zur Zahntechnikerin – in Nordrhein-
Westfalen. „Dass ich ausgerechnet dort
gelandet bin, war allerdings Zufall. Ich
hatte mich deutschlandweit beworben
und wollte einfach eine neue Stadt ken-
nenlernen“, betont Mareike. Gern denkt
sie an ihre Zeit in Nordrhein-Westfalen
zurück, denn ihre Kollegen haben sie
von Anfang an herzlich aufgenommen.
Dass sie aus den neuen Bundesländern
stammt, stand hingegen stets im Hin-
tergrund. Natürlich habe es dennoch hin
und wieder Sprüche über Bananen oder
Westpakete gegeben, erzählt sie. „Aber
die habe ich mit Humor genommen und
manchmal auch selbst darüber gelacht.“
Fürs Studium dennoch zurück
Bald merkte Mareike jedoch, dass der
Beruf nicht der richtige für sie ist. Im
vergangenen Jahr – nach erfolgreichem
Abschluss ihrer Ausbildung – schrieb sie
sich daher an der Friedrich-Schiller-Uni-
versität für Pharmazie ein. „Ich möchte
weiterhin im medizinischen Bereich ar-
beiten“, erklärt sie. „Aber weniger direkt
am Patienten, sondern eher forschend
und beratend.“ Bewusst hat sie sich da-
bei für eine Uni in den neuen Bundeslän-
dern entschieden. Denn zwischen ihren
west- und ostdeutschen Bekannten hat
Mareike dann doch einen Unterschied
festgestellt: „Ich habe die Ostdeutschen
als unkomplizierter und natürlicher erlebt
und ich spüre hier mehr Zusammenhalt.“
Natürlich könne man nicht alle über ei-
nen Kamm scheren. Überhaupt, so
betont Mareike immer wieder, sei es
doch meistens kein wirklicher Ost-West-
Unterschied. Vielmehr hänge Vieles von
individuellen Erlebnissen und subjek-
tiven Eindrücken ab. Dennoch: Für das
Studium wollte Mareike wieder zurück,
in die neuen Bundesländer. Berlin sei
ihr jedoch zu groß und ihr Bruder habe
schließlich Jena empfohlen.
DieWahl ihres Studienfaches und Stu-
dienortes hat Mareike nicht bereut. Vom
ersten Tag an fühlt sie sich hier wohl:
„Als ich hier ankam und durch die Stra-
ßen lief, fiel mir sofort auf, dass die Men-
schen hier mehr lächeln.“ Auch ein Jahr
nach der anfänglichen Euphorie strahlt
die junge Frau, wenn sie nach Jena und
Thüringen gefragt wird: „Ich studiere
gern hier und möchte auch nach dem
Studium hier bleiben“, sagt sie. „Die Na-
tur, derThüringerWald, die Leute: Mir ist
Thüringen einfach sympathisch!“
ch
Grau, nass, kalt: Das Wetter ist im No-
vember meistens eher ungemütlich und
der Monat deshalb bei vielen nicht sehr
beliebt – auch nicht zum Geburtstag fei-
ern. Doch bei Mareike Adler ist das an-
ders, sie hat gern im November Geburts-
tag: Die Pharmazie-Studentin wurde am
9. November 1989 geboren, demTag, als
die Berliner Mauer fiel. „Das ist wirklich
etwas Besonderes und ich werde auch
oft darauf angesprochen“, sagt sie und
ein klein wenig Stolz schwingt dabei mit.
nLenaBoltz(l.)undMareikeAdlerkamenbeideam9.November1989
urgischenLudwigsfelde.