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Uni-Journal Jena11/14

Dass sie für ihr Studium in Jena aus

dem ehemaligenWestteil des Landes in

den Osten umziehen musste, war für sie

keine Hürde. Auch Familie oder Freunde

hatten damit kein Problem. Vorurteile

höre sie eigentlich nur von Personen, die

Jena lediglich von der A4 aus kennen,

sagt sie schmunzelnd. „Wer einmal hier

war, dem gefällt die Stadt meist.“ Ihre ei-

gene Entscheidung für Jena als Studien-

ort sei aber ganz pragmatisch gefallen.

„Mein Freund hatte hier einen Studien-

platz in Soziologie und ich wollte gerne

mit ihm am gleichen Ort studieren.“ Und

so hat sie sich 2009 für ein Mathematik-

Studium an der FSU eingeschrieben und

setzt nach dem erfolgreich erworbenen

Bachelor nun den Master obendrauf. Ge-

rade schreibt sie an ihrer Masterarbeit.

Und warum gerade Mathe? Das Fach

habe ihr schon in der Schule viel Spaß

gemacht. Während eines Jahres im Eu-

ropäischen Freiwilligendienst nach dem

Abitur sei dann der Entschluss gereift,

die Mathematik zum Beruf zu machen.

„Mir gefällt das logische Arbeiten“, sagt

sie. Im Studium gehe es weniger um

praktische Inhalte, sondern eher um

Denkprozesse. Präzision und Konzent-

ration braucht sie auch in ihrer Freizeit:

Lena betreibt neben dem Studium die

japanischen Kampfsportarten Aikido und

Ken-Jutsu. 

US

anders ist als zu Hause“, sagt sie. „Und

die denken dann, ach ja, das ist der Os-

ten.“ Dabei übersehen sie, dass es sich

vielleicht gar nicht um Unterschiede

handelt, die etwas mit der früheren

DDR bzw. der deutschen Teilung zu tun

haben. „Erst neulich habe ich wieder ge-

hört, wie sich zwei Studenten über die

angeblich typisch ostdeutsche Art unter-

halten haben, die Uhrzeit mit Viertel und

Dreiviertel anzugeben.“ Dabei sei das in

Teilen Süddeutschlands, etwa in Baden-

Wü r t t e m b e r g ,

genauso üblich.

„Man ist einfach

viel zu schnell

dabei, einen Ost-

West-Unterschied

auszumachen.“

Vorurteile gebe

es auf beiden

Seiten: Sie selbst

überrasche Ost-

deutsche manch-

mal mit ihren

Russisch-Kennt-

nissen. „Die meis-

ten rechnen nicht

damit, dass man

als ,Wessi‘ die

Sprache spricht.“

Dabei hat sich

Lena Boltz in der

sechsten Klasse

ganz bewusst

für Russisch als

zweite Fremdspra-

che entschieden.

„Ich möchte mich

auch in Osteuropa

verständigen kön-

nen.“

Auch in vielen wissenschaftlichen

Studien oder der Politik werden Unter-

schiede zwischen Ost und West immer

wieder betont. Dadurch, so Lenas Ein-

druck, habe die deutsche Teilung auch

heute noch irgendwie Bestand. „Ich

denke, es wäre wesentlich besser für

unser Land, wenn man die nächsten 25

Jahre auf diese Unterscheidung einfach

verzichten würde.“ Trotzdem seien die

Themen Wende und Mauerfall auch für

ihre Generation durchaus wichtig, gebe

es doch immer wieder Bezüge zur Ge-

genwart. Das zeige sich gerade aktuell

in der Thüringer Landespolitik, wo sehr

kontrovers über eine mögliche rot-rot-

grüne Koalition diskutiert wird. „Solche

Themen sind natürlich auch für unsere

Generation relevant. Aber ich denke, sie

sind für uns nicht so emotional besetzt.“

Porträt

Geboren als die Mauer fiel

Für Studentin Lena Boltz war Deutschland nie ein geteiltes Land

Nein. Besonders hat sie ihren Geburts-

tag dieses Jahr nicht gefeiert, sagt Lena

Boltz. „Gemeinsam mit Freunden, aber

nichts Großes“. Gerade ist die junge Frau

25 Jahre alt geworden.

Dafür war der Tag, an dem sich die

Mathematik-Studentin der Uni Jena über

ihren Geburtstag freuen konnte, vermut-

lich für viele Menschen in ganz Deutsch-

land ein besonderer: der 9. November.

Genau vor 25 Jahren, zu Lenas Geburt,

öffnete sich die Berliner Mauer.

Wie ist das, an einem solch histori-

schen Tag geboren zu sein, an dem sich

für Millionen Menschen in Deutschland

die Welt veränderte? Der sie zu Tausen-

den auf die Straßen trieb und die Nacht

zumTag machen ließ? An dem sich wild-

fremde Menschen in den Armen lagen

und das Glück nicht fassen konnten,

das das Gefühl von Freiheit in ihnen

auslöste? „Natürlich habe ich bereits als

Kind mitbekommen, dass an meinem

Geburtstag etwas Besonders passiert

ist“, erinnert sich Lena. Auch wenn sie

selbst erst als Jugendliche begriff, was

der „Mauerfall“ tatsächlich bedeutete.

Viele Menschen sprechen sie auf ihr

Geburtsdatum an, auch heute noch. Für

sie aber ist Deutschland kein geteiltes

Land – und war es nie.

In Ost undWest zu Hause

Geboren und aufgewachsen ist Lena

Boltz mit zwei Schwestern und einem

Bruder im Landkreis Celle in Nieder-

sachsen, wo ihre Familie noch heute

lebt. „Für mich machte es nie einen

Unterschied, ob jemand im Gebiet der

ehemaligen DDR oder der Bundesre-

publik lebt“, sagt Lena, die Jüngste der

vier Geschwister. Zu den Verwandten in

Görlitz – im ehemaligen Ostteil des Lan-

des – haben sie und ihre Familie genau

so enge Kontakte, wie zu anderen. Dass

viele Menschen, die die deutscheTeilung

erlebt haben, nach wie vor Unterschiede

zwischen Ost und West wahrnehmen,

kann sie dennoch nachvollziehen. „Es

hängt sehr davon ab, ob man einen per-

sönlichen Bezug dazu hat“, stellt sie im-

mer wieder fest. Sie selbst habe erst mit

14 oder 15 Jahren gemerkt, welch große

Rolle die unterschiedliche Geschichte

der beiden Teile Deutschlands für ältere

Generationen immer noch spielt.

Andererseits spüre sie auch immer

wieder, dass Unterschiede gemacht

werden, wo gar keine sind. „Es gibt

Leute, die aus dem Westen hierher

kommen und feststellen, dass etwas

AmselbenTaginunterschiedlichendeutschenStaatengeboren.DieStudentinn

zurWelt:LenainderNähevonCelleinNiedersachsenundMareikeimbranden

Foto:Günther