WELTWEIT VERNETZT. THÜRINGEN VERPFLICHTET. - page 107

Was also als individuellerGewinn
am Ende der universitärenAusbil-
dung stehen und durch methodi-
sche Anleitung zu einem lebens-
langen Bedürfnis, Bildungswissen
stets zu erneuern und zu erwei-
tern, entwickelt sein sollte, lässt
sich auch institutionell, auf die
Universität und ihre Bedeutung
für die Gesellschaft bezogen, be-
schreiben. Auch die Universität
– verkörpert in ihren Lehrenden
und Forschenden – erzeugt ein
Bildungswissen, das sie in be-
stimmten Situationenundbei ent-
sprechenden Fragestellungen und
Bedürfnissen der Gesellschaft zur
Verfügung stellt. So begleitet und
kommentiert sie mit ihrem Bil-
dungswissen–und ichnenne jetzt
nur ein Aufgabenfeld von mehre-
ren, die weiter unten dargestellt
werden – etwa das Interesse der
Gesellschaft an ihrer Selbstver-
ständigung als Ergebnis einer ge-
schichtlichen Entwicklung. Wis-
senschaftler der Universität Jena
haben zum Beispiel maßgeblich
an der dritten Thüringer Landes-
ausstellung „Elisabeth von Thü-
ringen–EineeuropäischeHeilige“
(2007)mitgewirkt und siewerden
gleiches tun, wenn es darum geht,
die Ausstellung „Luther und die
Deutschen“ auf der Wartburg im
Jahr 2017 mit ihrem Bildungswis-
senkonzeptionell zubegleiten.
bildungals reduktionsleistung
vonwissen
Der zweiteBildungsbegriff steht ers-
terem nur scheinbar entgegen. In
einer Welt, die immer schneller im-
mer mehr Wissen produziert – seit
den Siebziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts sind mehr wissen-
schaftliche Publikationen erschie-
nen als in der gesamten Mensch-
heitsgeschichte zuvor – und dieses
zum großen Teil digital aufbereitet,
droht jedem, der die Wissensbe-
stände seinesFachesungefiltertund
unstrukturiert aufzunehmen ver-
sucht, der intellektuelle Untergang.
In einerWelt derWissensexplosion
und eines möglichen digitalen Kol-
lapses kommt universitärer Bildung
undAusbildungdiewichtigeAufga-
be zu, Studierenden eine Fähigkeit
zuvermitteln,diedasMittelalterdie
Kunst der discretio genannt hat.
Befähigung,Wichtiges
vonUnwichtigem zu
unterscheiden
Wenn freilich dort discretio die
Möglichkeit meinte, zwischen Gu-
tem und Schlechtem zu unterschei-
den, so geht es hier und heute eher
um die Befähigung, Wichtiges von
Unwichtigem oder doch nur weni-
ger Wichtigem trennen zu können.
Niemand muss oder kann heute al-
les in seinem Fachwissen; universi-
täre Bildung hat die Verpflichtung,
Studierenden die Befähigung zur
Begriffsbildung, zur Problemorien-
tierung und damit zu einer intelli-
genten Reduktionsleistung von
Wissen beizubringen. Das – im po-
sitiven Sinne gemeinte –Vergessen
können des Kontingenten, das Be-
wusstsein, dass Problemlösung im-
mer auchdas Beiseiteschieben alter-
nativer Lösungen impliziert – auch
dies beschreibt heute Aufgabenfel-
der einermodernenUniversität. Sie
hat die Verpflichtung, kluge, gebil-
dete Menschen dazu zu befähigen,
dass sie sich in einer rasant verän-
dernden und zunehmend komple-
xerenWelt orientieren können; ori-
entieren können dadurch, dass sie
sich durch eine „gebildete“ Redukti-
onderWissensbeständeauf das zur
Lösungsfindung Wesentliche kon-
zentrieren können und so hand-
lungsfähigbleiben.
Vermutlich sindbeideBegriffevon
Bildung nicht so weit von einan-
der entfernt,wie es auf den ersten
Blick scheinen mag und stellen
eher zwei Seiten einer Medaille
dar. Die Universität produziert
durch ihre Lehrenden und Studie-
renden Wissensbestände, bereitet
diese für dieGesellschaft, die siefi-
nanziert, auf und speichert sie– in
Büchern, Zeitschriften oder in der
digitalenWelt.DasAbrufen, Verar-
beiten und Vermitteln dieser Wis-
sensbestände bedarf, will es nicht
zur unproduktivenMaterialanhäu-
fungverkommen, des reflektierten,
kritischen Umgangs mit der Fülle
des Wissens. Bildung in unserer
modernenWelt hat also zwei Sei-
ten. Der Beitrag der Universität
zur Selbstverständigung und Zu-
kunftssicherung unserer Gesell-
schaft liegtdaher inbeidem: inder
Kommentierung und Erläuterung
unserer Gegenwart als –wie auch
immer gebrochenes – Resultat
unserer Vergangenheit und in der
Ausbildung einer Elite, die unsere
Zukunft deshalb gestalten kann,
weil sie als Resultat ihrer univer-
sitären Ausbildung die Kunst der
discretio mit Blick auf moderne
Wissensbestände beherrscht. Die-
sen zwei Aufgaben stellt sich die
Friedrich-Schiller-Universität zum
Wohl und Nutzen des Freistaates
undunseresLandes.
wissenverbreiten
universität jena.
weltweit vernetzt. thüringen verpflichtet.
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