Background Image
Table of Contents Table of Contents
Previous Page  10 / 48 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 10 / 48 Next Page
Page Background

10

Uni-Journal Jena07/15

Freiheit in der Universität

Prof. Dr. Klaus Dicke über Chancen und Bedrohungen der Freiheit

Position

Es ist ein sanftes Szenario frei gewählter

Unfreiheit, mit klarer Gesellschaftsana-

lyse und gutem politischen Blick ausge-

führt, das Michel Houllebecq in seinem

neuen Roman „Unterwerfung“ zeich-

net: Die freie, säkulare, pluralistische

Gesellschaft hat den Glauben an sich

selbst verloren und unterwirft sich dem

betreuten Denken eines weichen politi-

schen Islam – weich, weil auf demokrati-

schemWege herbeigeführt, weich auch,

weil der Protagonist die Versprechen des

islamischen Gesellschaftsprogramms

zur Kenntnis nimmt, die Pflichten aber

überliest. Der Roman ist die Fortsetzung

von Nietzsches Tafel über den „längs-

ten Irrtum“: ‚Also sprach Muhammad:

soumission‘. Es erstaunt nicht, dass die

Platon-Forscherin Barbara Zehnpfennig

den Roman zum Anlass für kritische

Bemerkungen in Sachen Freiheit nahm

(FAZ, 8.6.2015). Und natürlich weist sie

darauf hin, dass Houellebecqs unterwer-

fungsreifer Protagonist Wissenschaftler

ist, Professor für Literaturwissenschaft.

Schon deshalb, aber lange nicht allein

deshalb geht der Roman, der freilich

auch seine Probleme hat, die Universi-

täten an.

Die kritische Analyse dessen, was in

einer Gesellschaft der Fall ist und welche

Entwicklungsoptionen ihr offenstehen,

ist nicht nur Sache der Literaten, son-

dern gehört zu den wichtigsten Aufga-

ben universitärer Forschung, vor allem,

aber nicht ausschließlich in den Geistes-

und Sozialwissenschaften. Um diese für

eine freie Gesellschaft unverzichtbare

kritische Funktion sachgemäß ausüben

zu können, haben liberale Denker und

Forscher die grundrechtliche Sicherstel-

lung der Freiheit von Forschung und

Lehre erkämpft. In Deutschland wurde

die Forderung nach ihrem Schutz seit

der PaulskircheTradition. Sie hat in Art. 5

Abs. 3 des Grundgesetzes und in Art. 27

der Thüringer Verfassung Niederschlag

gefunden. In Jena gehörten Schiller,

der die Liberalität der Salana pries, und

Fichte, der dem Landesherrn ein „Lehr-

freiheit, oder ich gehe“ entgegenschleu-

derte, zu den Vorkämpfern dieser allein

durch das Erfordernis der Verfassungs-

konformität der Lehre eingeschränkten

Freiheit von Kunst und Wissenschaft,

von Forschung und

Lehre. Erst mit

dem Grundgesetz

hat sie wirksamen

rechtlichen Schutz

als Grundrecht

erfahren. Wie

bei allen Grund-

rechten ist heute

zu fragen: Wie

wird sie gelebt,

ist sie von innen

bedroht, können

wir sie überzeu-

gend verteidigen,

wo mögliche Ein-

schränkungen von

außen drohen?

Zunächst zu Letzterem: Es bedarf

durchaus kritischer Diskussion, ob und

in welchem Ausmaß die starke Abhän-

gigkeit der Universität von Drittmitteln

zu Einschränkungen der Forschungsfrei-

heit führt. Werden Forschungsagenden

nicht über Gebühr durch die gar nicht

so unsichtbare Hand finanzieller Verlo-

ckungen bestimmt? Unterwerfen sich

Geisteswissenschaftler nicht zu häufig

dem Medienwirksamkeit versprechen-

den und übervollen Gedenkkalender?

Welche Interessen und Mechanismen

bestimmen die Inhalte universitärer

Forschung? Weitere Fragen ergeben

sich aus den Strukturveränderungen

der letzten beiden Jahrzehnte: Sind Ziel-

und Leistungsvereinbarungen oder das

neue Institut der Hochschulräte Instru-

mente zur Stärkung der Autonomie der

Universität oder aber neue Einfallstore

zur politischen oder gesellschaftlichen

Fremdsteuerung? Und auch: Lässt die

Umsetzung der Bologna-Reform ein

„freies“ Studium noch zu?

Für diese Fragen und für einige

mehr gelten drei Dinge: Erstens sind

schnelle Antworten wohlfeil und rasch

bei der Hand. Sie haben in aller Regel

nicht unerhebliches Erregungspotenzial

und können auf Beifall rechnen. Empi-

rie- oder erfahrungsgesättigte Reflexi-

onen im Für und Wider pluralistischer

Diskurse sind erheblich mühsamer

und brauchen in aller Regel das, was

am meisten fehlt: Zeit. Zweitens sind

es Fragen, die in akademischer Selbst-

verantwortung, zugleich aber im Dialog

mit der Gesellschaft, die Universitäten

finanziert, geführt werden müssen. Es

ist eine herausragende Verantwortung

gerade auch der Hochschulräte, solche

Diskurse in der Universität anzustoßen

und den Dialog zwischen Universität und

Gesellschaft zu vermitteln. Die Wahr-

nehmung dieser Verantwortung muss

auf beiden Seiten so transparent und

sichtbar wie nur möglich sein. Auch dies

braucht Zeit. Und drittens kann es nur

einen Maßstab für die Beurteilung und

Beantwortung dieser Fragen geben: die

Freiheit von Forschung und Lehre als in-

stitutionelles, die Autonomie der Univer-

sität verbürgendes und als individuelles,

die unabhängige Selbstbestimmung der

Wissenschaftlerinnen undWissenschaft-

ler sicherstellendes Grundrecht.

Verständnis eines Grundrechts

Es ist deshalb von entscheidender

Bedeutung, welches Verständnis dieses

Grundrechts in einer Universität herrscht

und vor allem: wie es gelebt wird. Was

ist sein Inhalt? Auf mindestens drei Mo-

mente ist hinzuweisen:

1. Träger des Grundrechts sind alle in

Forschung und Lehre Tätigen, Professo-

ren, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen

und Studierende sowie die Universität

als Korporation. Der wichtigste Grund-

satz seiner Ausübung ist die freie Wahl

der Forschungsthemen hier und akade-

mische Selbstverwaltung in den Funkti-

onen und Gremien der Universität dort.

Damit ist diese Ausübung in eine ge-

stufte und im Einzelnen geregelte Gre-

mien- und Ämterordnung eingebettet.

2. Die Freiheit von Forschung und

Lehre stellt die Pluralität wissenschaft-

licher Fragen, Ansätze, Methoden,

Schulen und Organisationsformen von

Forschung und Lehre sicher. Sie hat in-

soweit eine konstitutive Funktion für das

Gedeihen von Wissenschaft überhaupt,

die sich in einer uneingeschränkten Dis-

kursoffenheit aktualisiert.

3. Freiheit heißt nicht Lizenz zur Will-

kür desTuns und Lassens nach Belieben

und Tageslaune, sondern Freiheit heißt

Verantwortung: für das eigene Studium

und gute Studienbedingungen, für

„Wie bei allen Grundrechten ist heute

zu fragen: Wie wird die Freiheit gelebt,

ist sie von innen bedroht, können

wir sie überzeugend verteidigen, wo

mögliche Einschränkungen von außen

drohen?“