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11

Uni-Journal Jena07/15

Position

qualitätsbewusste und qualifizierende

Lehre, für sach- und fachgerechte For-

schung, für all dem dienende Organisa-

tionsstrukturen und auch für gedeihliche

Entwicklungen der Wissenschaft insge-

samt einschließlich des geistigen „Stoff-

wechsels“ zwischen Wissenschaft und

Gesellschaft.

Freiheit stirbt zentimeterweise

Eine politischeWeisheit der Engländer

besagt: Freiheit stirbt zentimeterweise.

Deshalb verdienen Vorgänge, die auch

nur den Anschein einer Gefährdung oder

Bedrohung der Freiheit von Forschung

und Lehre erwecken können, sensible

Aufmerksamkeit. Wenn – wie kürzlich

in Berlin geschehen – Studierende in ei-

ner Lehrveranstaltung rassistische Un-

tertöne wahrzunehmen glauben, dann

muss dies schon deshalb, weil solche

Untertöne mit Art. 5 Abs. 3 des GG nicht

vereinbar wären, auf den Tisch und ge-

klärt werden. Entscheidend ist freilich

die Form: auf dem Rechtsweg oder dis-

kursiv, in jedem Fall aber mit offenem

Visier und nicht als anonymer Shitstorm.

Die Furcht vor Repressalien kann Letz-

teres nicht rechtfertigen, denn erstens

gibt es Remeduren und zweitens nährt

sie einen Geist des Denunziantentums.

Ein anderes Beispiel, das nachdenk-

lich macht, sind manche Beiträge zur

Diskussion über die sog. Zivilklausel,

über Kooperationen mit der Wirtschaft

generell oder auch das Verhindern einer

Veranstaltung, in der ein Abgeordneter

der AfD auftreten sollte. Jede kritische

Position in diesen Fragen ist legitim und

muss geäußert und debattiert werden

können. Wenn aber einzelne Positionen

einer „political correctness“ dogmati-

siert werden und Forschungsentschei-

dungen diskreditieren, ist die Freiheit

von Forschung und Lehre auf der Ver-

liererstraße.

Die genannten Beispiele, so unter-

schiedlich man sie beurteilen mag, ge-

ben zu denken. Die Friedrich-Schiller-Uni-

versität hat in ihrer langen Geschichte

vielfältige Erfahrungen mit Unfreiheit

machen müssen: mit dogmatischen Or-

thodoxien, mit Zensur und politischen

Repressalien, und auch mit Anpassung,

wo Widerspruch gefordert gewesen

wäre. Sie hat aber auch eine gute Tra-

dition des Freiheitsbewusstseins, zu

der auch – das sei ausdrücklich betont

– unkonventionelle Formen des Pro-

tests und Widerspruchs gehören. Auch

dies gehört zur akademischen „Liberty“.

Je reflektierter und sichtbarer sie ihren

Alltag an dieserTradition des Freiheitsbe-

wusstseins ausrichtet, desto selbstbe-

wusster kann sie Versuchungen äußerer

Einflussnahme widerstehen.

Wie frei sind Forschung und Lehre?

Umfrage: FSU-Wissenschaftler und ihre Sicht auf die Freiheit

Die Freiheit der Wissenschaft ist ein

verfassungsmäßig garantiertes bürger-

liches Grundrecht. Für mich heißt das

konkret, dass ich Wissenschaft, For-

schung und Lehre frei, unabhängig und

weisungsungebunden wahrnehmen

kann. Für meinen Lehrstuhl für Material-

wissenschaft und mich als „Humboldti-

aner“ bedeutet das aber auch eine enge

Verbindung von Forschung und Lehre im

Humboldt’schen Sinne.

Versuche von Dritten, diese Freiheit

der Wissenschaft, Forschung und Lehre

einzuschränken, sind selten – sie kom-

men aber vor. Einschränkungen könnten

„Was bedeutet Ihnen die Freiheit der

Wissenschaft? Wo sehen Sie sie be-

droht? Wo hat die Freiheit Grenzen?“

Diese Fragen hat die Uni-Journal-

Redaktion Wissenschaftlerinnen und

Wissenschaftlern der Universität Jena

gestellt und acht sehr unterschiedli-

cheAntworten erhalten – nachzulesen

auf dieser und den beiden kommen-

den Seiten.

z. B. dann entstehen, wenn Forschungs-

themen direkt oder indirekt z. B. durch

Mittelbündelungen oder durch Mittel-

verknappungen von Dritten vorgegeben

werden. Eine solide Grundfinanzierung

universitärer Wissenschaft trägt aus

meiner Sicht wesentlich zur Freiheit der

Wissenschaft bei.

Auch die Forschung in Kooperation

mit Partnern aus der Wirtschaft, mit der

mein Lehrstuhl viel Erfahrung hat, ist

frei. Im beiderseitigen Einvernehmen

kann es dabei gewisse Einschränkun-

gen wie z. B. Zustimmungspflichten bei

Publikationen und/oder Patenten geben.

Dem Wissenschaftler, der dies nicht

möchte, steht es aber frei, derartige

Forschungsprojekte nicht anzunehmen.

Aus wissenschaftsethischen Gründen

würden wir keine Industrie-Forschungs-

projekte durchführen, die nicht ergeb-

nisoffen sind, das heißt, bei denen ein

bestimmtes, für ein Produkt werbendes

und vorgegebenes Ergebnis gewünscht

wird. Wir haben sehr positive Erfahrun-

gen mit Industriepartnern und unter-

stützen die Zusammenarbeit zwischen

Universität undWirtschaft nachdrücklich.

Wissenschaft kann der Gesellschaft

nützen und kann auch unter ökonomi-

schen Aspekten gesehen werden. Frei-

heit heißt aber für mich auch, dass Wis-

senschaft das nicht muss. Die Freiheit

derWissenschaft findet für mich z. B. da

eine Grenze, wo sie nicht mehr mit dem

Grundgesetz vereinbar wäre und Grund-

rechte verletzen würde.

Prof. Dr. Klaus D. Jandt, Lehrstuhl für

Materialwissenschaft

Foto:Kasper

FortsetzungaufS.12

AltrektorProf.Dr.

KlausDickevoreiner

Schiller-Büste.Der

Namenspatronder

JenaerUniversität

gehört,soDicke,„zu

denVorkämpfernder

FreiheitvonKunst

undWissenschaft,

vonForschungund

Lehre.“

Foto:J.Scheere