Oppositions- und Widerstandsgruppen sowohl in
den 1950er als auch in den 1990er Jahren bilden
einen Forschungsschwerpunkt zur Geschichte der
DDR anderUniversität Jena. ImBlickpunkt standen
aber auch die Regionalstrukturen und „Täterorte“
des MfS, des ostdeutschenGrenzregimes sowie die
SED-Funktionärseliten in den Bezirken Erfurt, Gera
und Suhl. Zu kurz gekommen ist bisher die Gesell-
schafts-undAlltagsgeschichtederDDR.Ausnahmen
bildendie ausführlichenStudien zurGeschichteder
Universität Jena zwischen 1945 und 1989, die das
„Universum Universität“ bis in seine Untiefen aus-
leuchtenundVorbildcharakter für andereHochschu-
lenhaben.
landesgeschichte und landeskunde seit 1990
Bei ihrerEinführung1992anderUniversitätJenastand
die Politikwissenschaft vor drei zentralen Aufgaben:
das Erbe des marxistisch-leninistischen Grundlagen-
studiums zu überwinden, das Fach aus Jenaer Pers-
pektive inden internationalenWissenschaftsverbund
zu integrieren und den demokratischen Neuaufbau
des Freistaats Thüringen politikwissenschaftlich zu
begleiten.
Mit der Abwicklung der Sektion Marxismus-Leninis-
mus war die erste Aufgabe nicht erledigt.Wichtigwa-
ren eine systematische Auseinandersetzung mit den
Prämissen – vor allem der Wissenschaftstheorie und
derGeschichtsphilosophiedesMarxismus-Leninismus
– sowieeineReflexiondernormativenGrundlagendes
demokratischenVerfassungsstaates.
Das Gründungssymposium „Deutschland und Europa“
und die internationale Tagung zu Franz Lieber, dem
Begründer der amerikanischen Politikwissenschaft
mit seinenWurzeln im Jena des frühen 19. Jahrhun-
derts, sind Indikatoren dafür, dass die Integration in
den internationalen Wissenschaftsverbund systema-
tisch vorangetrieben worden ist. Dazu gehört, dass
die internationale Perspektive das Lehrprogramm
unddie Forschungsschwerpunkte in Jena bestimmen,
wie auch an der Benennung undBesetzung der Lehr-
stühleersichtlich ist.Zudenselbstverständlichenund
zahlreichen internationalenKooperationendes Fachs
tritt ein grenzüberschreitendes Austauschprogramm
für StudierendeundLehrende.
Um den demokratischen Neuaufbau Thüringens
begleiten zu können, musste die Institution des de-
mokratischen Verfassungsstaates in den Mittelpunkt
gerückt werden. Dies übernahm der Lehrstuhl für
Deutsche Regierungssysteme, der die Verfassungs-
beratungen im Landtag mit Lehrveranstaltungen
und Vortragsreihen begleitete und die verschiede-
nenVerfassungsentwürfe analysierte.Materialien zur
Entstehung der Verfassung, zu den Regelungen der
Thüringer Verfassung sowie zu den verschiedenen
deutschenVerfassungstraditionen sind in einemSam-
melbanddokumentiert.
Transformationsprozesse
ehemaliger Blockparteien
Da Parteien zentrale politische Akteure sind, galt ih-
nen der zweite thematische Schwerpunkt, der mit ei-
nem Forschungsprojekt seit Ende der 1990er Jahre
hervortrat. Untersucht wurde, welche Transformati-
onsprozesse die ehemaligen Blockparteien durchlau-
fen haben und wie sich neue Parteien bildeten und
entfalteten. Ihre organisatorische, programmatische
undpersonelleEntwicklungkonnte–nahezu inEcht-
zeit – über zwanzig Jahre hinweg verfolgt werden.
Der Band „Parteien in Thüringen“ ist die bislang um-
fassendste Darstellung der Parteientwicklung in den
neuen Bundesländern und zeigt ein ambivalentes
Bild: einerseits rechtliche und organisatorische Kon-
solidierung, andererseits schrumpfende Mitglieder-
basis und sinkende Akzeptanz in der Bevölkerung.
Nicht zuletzt auf Grund dieses Befundes wurde der
Rekrutierung des politischen Führungspersonals be-
sondereAufmerksamkeit geschenkt,wobei deutliche
Unterschiede zwischen Städten und ländlicher Regi-
on festgestelltwerdenkonnten: Jegrößer dieKommu-
ne,destogeringerderAnteil des „Altpersonals“,desto
stärker dieStellungder Parteienunddestogrößer die
Akzeptanz demokratischer Normen. Eine Zwischen-
bilanz zur Rekrutierung des Thüringer Führungsper-
sonals auf Landes- und Bundesebene zieht der Band
„Der Thüringer Landtag und seine Abgeordneten
1990–2005“.
Das Wiedererstehen des Freistaats Thüringen hat
einBedürfnis nachOrientierungbei denThüringern
aber auch bei Externen geweckt. Die Politische Lan-
deskunde, die 1996 erstmals erschienen ist undmitt-
lerweile ineiner zweiten, völligneubearbeitetenAuf-
lage vorliegt, bietet nicht nur einen Überblick über
die Funktionsweise der Institutionen des Freistaats,
sondern bilanziert auch Entwicklungen, die sich in
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft seit 1990 vollzo-
genhaben.
standortstärken
universität jena.
weltweit vernetzt. thüringen verpflichtet.
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