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Uni-Journal Jena07/15
Schneewittchens Strategie
Slawistin analysierte Höflichkeitsformen in Zaubermärchen
Schneewittchen flüchtet vor der bösen
Stiefmutter in den dunklen Wald, flieht
über sieben Berge und landet schließlich
bei einer recht eigentümlichen Wohn-
gemeinschaft. Und weil das Schnee-
wittchen so schön und obendrein sehr
freundlich ist, nehmen die Zwerge es bei
sich auf. Somit hatte Schneewittchen mit
einer kommunikativen Strategie Erfolg,
die auch zahlreiche andere Märchenhel-
den zum Erreichen ihrer Ziele nutzen.
Kurzum, der Held im Märchen ist erfolg-
reicher, wenn er höflich ist.
Diese These hat Dr. Gergana Börger
in ihrer nun erschienenen Dissertation
„Höflichkeitsformen in bulgarischen,
deutschen und russischen Zaubermär-
chen“ anhand von linguistischen und
kulturwissenschaftlichen Konzepten
geprüft. Die Wissenschaftlerin, die am
Institut für Slawistik promoviert wurde,
untersuchte dabei je 30 klassische Mär-
chen aus dem Deutschen, Russischen
und Bulgarischen und verglich diese mit-
einander. Als Kriterien dienten Gergana
Börger Anreden, Grußformen, Bittstel-
lungen, Dankesworte und Diskretions-
formen wie zum Beispiel die Verbote in
Märchen.
Höflichkeit – das sei zum einen der
Ausdruck bestimmterWertvorstellungen
in sprachlicher Form und zum anderen
eine kommunikative Strategie, um sich
beim Gegenüber Verhandlungsvorteile
zu verschaffen. „Letztlich ist Höflichkeit
der kreative Umgang mit in der Kultur
festgesetzten Ritualen undTabus“, so die
Lektorin für Bulgarisch.
Dass in russischen und deutschen
Märchen trotz übereinstimmender Höf-
lichkeitskonzepte dennoch Unterschiede
bestehen, lässt sich daher auch aus kul-
turwissenschaftlicher Perspektive erklä-
ren.Weil das Gemeinschaftsgefühl, auch
unter fremden Personen, in Russland
aber ganz besonders in Bulgarien stärker
ausfällt, finden sich in Märchen dieser
Kulturkreise deutlich mehr Formen von
Solidaritätshöflichkeit.
Dass das kollektive Bewusstsein in
osteuropäischen Staaten, das individu-
alistische in westeuropäischen Staaten
stärker ausgeprägt ist, ist zwar keine
Überraschung. Dass sich dieses kultu-
relle Selbstverständnis bereits in den
Volksmärchen abzeichnet, die zum Groß-
teil aus den Erzählungen des Mittelalters
hervorgingen, hingegen schon.
biw
Kontakt:
Tel.:03641/944700
E-Mail:gergana. boerger@uni-jena.deFoto:Günther
Forschung
Eine Bremse für Röntgenstrahlen
Kernresonanz in einer dünnen Eisenschicht drosselt Röntgenpulse
Der vor rd. 50 Jahren erfundene Laser
ermöglicht eine Kontrolle der Wechsel-
wirkung von Licht und Materie. Dies hat
ein ganz neues Feld, die Quantenoptik,
begründet und zur Entdeckung höchst
bemerkenswerter Effekte geführt. Rönt-
genlicht besitzt ebenfalls eine Vielzahl
von Anwendungen, die v. a. auf seiner
Fähigkeit beruhen, Materie zu durch-
dringen. Die Quantenoptik im Röntgen-
bereich steht allerdings erst ganz am
Anfang. Spannend ist die Möglichkeit,
dass Röntgenlicht auch den Atomkern
erreichen kann, während sichtbares
Licht nur mit der Elektronenhülle eines
Atoms wechselwirkt.
Physiker des Heidelberger MPI für
Kernphysik haben nun in Koopera-
tion mit dem Deutschen Elektronen-
Synchrotron DESY und der Universität
Jena erstmals grundlegende Effekte der
Quantenoptik mit Atomkernen für Rönt-
genlicht demonstriert. Durch resonante
Streuung an einer Dünnschicht-Eisen-
probe konnten sie Welleneigenschaften
von Lichtpulsen im Röntgenbereich ge-
zielt kontrollieren und diese gegenüber
der Lichtgeschwindigkeit um den Faktor
10000 verlangsamen.
Kernstück des Experiments, das in
der Fachzeitschrift „Physical Review
Letters“ vorgestellt wurde, ist eine
Dünnschicht-Probe aus Eisenatomen,
eingebettet zwischen ebenfalls nur we-
nige Nanometer dünnen Schichten, die
die Röntgenstrahlung reflektieren (DOI:
10.1103/PhysRevLett.114.203601). Diese
werden mit Röntgenlicht bestrahlt und
das reflektierte Licht gemessen. Dabei
wird die Frequenz des Röntgenlichts
so gewählt, dass Eisen-Atomkerne in
Resonanz mit der Röntgenstrahlung
kommen.
Polarimeter aus Jena
Die starke Verlangsamung des Lichts
konnte erreicht werden, indem die ein-
zelnen zum Röntgenpuls beitragenden
Wellen durch die Wechselwirkung mit
den Eisenkernen geeignet gegeneinan-
der verzögert wurden. Zur Detektion des
verlangsamten Lichts nutzten die Physi-
ker die Eigenschaft der Eisenprobe, bei
resonanter Streuung die Polarisation des
Röntgenlichtes zu drehen. Allerdings er-
fordert die Technik ein außergewöhnlich
leistungsfähiges Polarimeter. Dieses ist
an der Universität Jena entwickelt wor-
den und hat den verlangsamten Rönt-
gen-Puls erst zugänglich gemacht. PM
Dr.GerganaBörgerkenntdieErfolgsrezeptevonMärchenhelden.
AusbreitungvonRöntgenpulsenineinerdün-
nenEisenfolie.DiezurMittestarkansteigen-
denLinienzeigendieextremeVerlangsamung
desRöntgenlichts,wenndiesesdieKernreso-
nanzderEisen-Atomeanregt.
Abbildung:KilianHeeg/MPIK
Kontakt:
Prof.Dr.GerhardG.
Paulus
Tel.:03641/947200
E-Mail:gerhard. paulus@uni-jena.de