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Uni-Journal Jena07/15
Alle Detektoren auf Empfang
Gravitationswellensignal von kollidierenden Sternen vorausgesagt
Experimente im Reich des Unmöglichen
Physiker simulieren Elementarteilchen, die gar nicht existieren können
März 1938: Der italienische Teilchenphy-
siker Ettore Majorana besteigt in Nea-
pel ein Postschiff nach Palermo. Doch
dort kommt er entweder nicht an oder
verlässt die Stadt sofort wieder – seit
jenemTag fehlt von dem Ausnahmewis-
senschaftler jede Spur und bis heute ist
sein rätselhaftes Verschwinden nicht auf-
geklärt. Geblieben
sind der Fachwelt
eine von ihm ent-
wickelte Theorie
über Kernkräfte
und ein ganz be-
sonderes Elemen-
tarteilchen.
„Dieses nach
Ma j o r ana be -
nannte Teilchen,
das sogenannte
Majoranon, besitzt
ganz erstaunliche
Eigenschaften“,
sagt Physiker Jun.-
Prof. Dr. Alexander
Szameit. „Eigen-
schaften, die es in
unserer Welt gar
nicht geben kann.“
So seien Majo-
rana-Teilchen gleichzeitig ihre eigenen
Antiteilchen: Sie vereinen in sich völlig
entgegengesetzte Eigenschaften wie
gegensätzliche Ladungen und Eigen-
drehimpulse und würden sich selbst –
wären sie tatsächlich existent – sofort
auslöschen. „Sie sind deshalb rein the-
oretischer Natur und lassen sich nicht in
Experimenten messen.“ Alexander Sza
meit und seinem Team ist es gemein-
sam mit internationalen Fachkollegen
jetzt dennoch gelungen, das Unmögliche
möglich zu machen: Wie die Forscher im
Fachmagazin „Optica“ schreiben, haben
sie eine Versuchsanordnung entwickelt,
mit der sich geladene Majorana-Teilchen
simulieren und diese damit physikali-
schen Experimenten zugänglich machen
lassen.
Quantencomputer verbessern
Dafür nutzen die Forscher ein Sys-
tem aus optischen Wellenleitern. „Wir
schicken zeitgleich zwei Lichtstrahlen
durch parallel verlaufende Wellenleiter,
die die gegensätzlichen Eigenschaften
separat aufweisen“, erläutert Dr. Robert
Keil aus SzameitsTeam. An einem vorab
festgelegten Punkt überlagern sich die
beiden Wellen und vereinen sich für ei-
nen kurzen Moment zu einem optischen
Majoranon. Ein mögliches Anwendungs-
gebiet dieser simulierten Majoranons
sieht Szameit in einer neuen Generation
von Quantencomputern. „Damit wären
deutlich höhere Rechenkapazitäten zu
erreichen, als bislang möglich.“
US
Forschung
Setztphysikalische
GesetzeaußerKraft:
Jun.-Prof.Dr.Alexan-
derSzameit.
Kontakt:
Tel.:03641/947985
E-Mail:alexander. szameit@uni-jena.deGenau 100 Jahre ist es her, dass Albert
Einstein mit seiner Allgemeinen Rela-
tivitätstheorie Raum und Zeit erschüt-
terte: Jede bewegte Masse, jeder Stern
oder jede Galaxis – so Einsteins Theorie
– versetzt die sogenannte Raumzeit in
Schwingungen. Diese Gravitationswel-
len müssten sich auch von der Erde aus
messen lassen. Doch auch ein Jahrhun-
dert nach Einsteins Vorhersage wartet
die Wissenschaftsgemeinde noch im-
mer darauf, diese Wellen im Universum
direkt zu messen.
In Kürze sollen zwei Detektoren für
Gravitationswellen der neusten Gene-
ration ihre Arbeit aufnehmen. Ob sie
das ersehnte Signal empfangen, das sei
nicht nur eine Frage der Messtechnik.
„Wir brauchen auch möglichst präzise
Vorhersagen, wie dieWellen physikalisch
aussehen, nach denen wir fahnden“, sagt
Prof. Dr. Bernd Brügmann. „Nur so las-
sen sich die Signale mit ihrer äußerst ge-
ringen Amplitude aus dem allgemeinen
Rauschen herausfiltern.“ Nachwuchs-
wissenschaftlern in Brügmanns Team
sind jetzt genau solche Vorhersagen
gelungen: Dr. Sebastiano Bernuzzi und
Tim Dietrich haben in der Fachzeitschrift
„Physical Review Letters“ die bislang
genaueste theoretische Beschreibung
eines Gravitationswellensignals vorge-
legt, das von zwei kollidierenden Neu-
tronensternen ausgeht (DOI:10.1103/
PhysRevLett.114.161103). Damit ist es
jetzt möglich, präzise Angaben zu Ener-
gie und Wellenform zu machen und die
Auswertung der aufgezeichneten Sig-
nale wesentlich zu vereinfachen.
US
KollisionzweierNeutronensterne(unten)vondenAnnäherungen(l.)überdenKontakt(M.)biszumKollisionsprodukt
(r.)undeindabeitypischerweiseausgesendetesGravitationswellensignal(oben).
Abbildung:TPI/AGBrügmann
Foto:KasperKontakt:
Prof.Dr.BerndBrüg-
mann
Tel.:03641/947100
E-Mail:bernd. bruegmann@uni- jena.de