32
Uni-Journal Jena02/15
Studentenleben
„Mein Kind wird älter“
Studierende begleiten Menschen mit Behinderung und ihre Familien
Für die Eltern ist es meist erst einmal
ein Schock: Wenn sie erfahren, dass
ihr Kind eine geistige Behinderung auf-
weist, bricht für viele eine Welt zusam-
men, zumal dann, wenn die Nachricht
unverhofft kommt. „Doch mit der Zeit
lernen die Eltern sehr wohl, mit den
individuellen Lebensbedingungen ihrer
Kinder umzugehen, auch wenn so man-
che Herausforderung damit verbunden
ist“, sagt PD Dr. Reinhild Kemper. Wie
Eltern und Kinder diese Herausforderun-
gen meistern, hänge von vielen Faktoren
ab, so die Wissenschaftlerin vom Insti-
tut für Sportwissenschaft. Neben dem
familiären und sozialen Umfeld könne
vor allem der Sport dabei eine zentrale
Rolle spielen.
Zu diesem Ergebnis sind angehende
Sportwissenschaftler in einer aktuellen
Studie gekommen. Im Rahmen eines
Forschungsprojekts unter der Leitung
von Dr. Kemper haben sechs Jenaer Ba-
chelorstudierende
untersucht, wie
das Älterwerden
von Kindern mit
geistiger Behinde-
rung die Sicht ihrer
Eltern auf diese
Situation verän-
dert. Dazu haben
die Studierenden
mit Eltern von
Kindern mit einer
intellektuellen Be-
hinderung gespro-
chen. Während
der „Nationalen
Sommer-Spiele“
von Special Olympics Deutschland
(SOD) im vergangenen Jahr haben sie
insgesamt 37 Mütter und Väter von in-
zwischen erwachsenen Kindern mit Be-
hinderung interviewt. Die Handicaps der
Kinder sind verursacht durch das Down
Syndrom, durch die Folgen einer soge-
nannten Cerebralparese – bedingt durch
eine Unterversorgung des Gehirns mit
Sauerstoff während der Geburt – oder
andere Entwicklungsverzögerungen.
„Allen Eltern und Kindern, mit de-
nen wir gesprochen haben, bedeutete
es sehr viel, bei den ‚Special Olympics
Deutschland‘ dabei zu sein“, erinnert sich
Robert Scheiblich. „Durch den Sport
wachsen Selbstvertrauen und -wahr-
nehmung der Kinder erheblich“, berichtet
der Sportwissenschaftsstudent von den
Erfahrungen der Eltern. Robert Scheib-
lich hat im Rahmen des Projekts seine
Bachelorarbeit angefertigt. Beeindruckt
haben ihn beispielsweise die Berichte
von Delphintherapien, von denen Kinder,
die sowohl geistige als auch körperliche
Beeinträchtigungen haben, besonders
profitieren.
Sport als Chance zur Inklusion
Aber auch andere Sportarten bringen
den Betroffenen langfristig mehr als nur
Spaß an der Bewegung. „Neben den
positiven sportlichen Effekten stellen
die meisten Eltern fest, dass der Sport
eine gute Chance zur besseren Inklusion
ihrer Kinder bietet“, so Dr. Kemper. Mit
Blick auf die Zukunft liege eine positive
Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder
den Eltern besonders am Herzen. „Sie
wollen ihr Kind gut versorgt wissen. Und
dazu gehört ein möglichst eigenständi-
ges und selbstbestimmtes Leben.“
Insgesamt war das Projekt für Robert
Scheiblich und seine fünf Kommilitonin-
nen eine sehr positive Erfahrung – nicht
nur, was die wissenschaftliche Arbeit
angeht. „Die meisten Familien haben
sich sehr gefreut, als sie merkten, dass
sich jemand für ihre ganz persönliche Si-
tuation interessiert“, sagt Robert Scheib-
lich. Zwar sei das Thema Inklusion in
aller Munde, so der 21-Jährige. Doch im
Alltag finden die Betroffenen noch nicht
immer das Verständnis für sich und ihre
Situation, das sie sich wünschen.
Er selbst hat sich entschlossen, den
mit der Teilnahme am Projekt einge-
schlagenen Weg weiter zu gehen. Seit
diesem Wintersemester studiert er im
Masterstudiengang Sportwissenschaft
und möchte sich auf den Bereich Präven-
tion und Rehabilitation spezialisieren. US
PDDr.Reinhild
Kemper(M.)mitden
Studentinnen(v.l.)
TanjaFärber,Diana
Gräf,MarenBarner,
RiekeBrunswäh-
rendderNationalen
Sommerspielevon
„SpecialOlympics
Deutschland“2014in
Düsseldorf.Dasstu-
dentischeForscher-
teamkomplettierten
CindyBartmannund
RobertScheiblich
(beidenichtimBild).
Foto:Scheiblich