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Das Zittern des Universums
100 Jahre nachdem Albert Einstein ihre Existenz in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt
hatte, sind erstmals Gravitationswellen direkt gemessen worden. Eine wissenschaftliche Sensation,
die weltweit nicht nur in der Fachwelt für Aufsehen sorgte – und die ihre Wurzeln auch an der Uni Jena hat.
H I N T E R D E N K U L I S S E N
Es war ein wissenschaftlicher Pauken-
schlag, mit dem die US-amerikani-
sche National Science Foundation am
11. Februar 2016 während einer Pres-
sekonferenz in Washington die Welt
sprichwörtlich ins Wanken brachte:
Am LIGO-Observatorium (»Laser In-
terferometer Gravitation Wave Obser-
vatory«) waren erstmals Signale von
Gravitationswellen empfangen worden,
ausgelöst von zwei Schwarzen Löchern,
die rund 1,3 Milliarden Lichtjahre von
der Erde entfernt kollidierten.
Zeitgleich, tausende Kilometer entfernt,
im großen Hörsaal der Physik am Max-
Wien-Platz, sitzen Dutzende Uni-Mitar-
beiter und Studierende und verfolgen
die Pressekonferenz per Live-Stream.
Um 16:34 Uhr Jenaer Zeit sagt David
Reitze, der Leiter des LIGO-Experimen-
tes, den entscheidenden Satz: »Ladies
and gentlemen: We have detected gra-
vitational waves. We did it!«
»Das war ein wirklich bewegender Mo-
ment«, erinnert sich Prof. Dr. Gerhard
Schäfer, der die Pressekonferenz im
Hörsaal live verfolgt hat. »Alle im Saal
waren begeistert«, so der Physiker im
Ruhestand. »Ein Jahrhundertereignis!«,
pflichtet Prof. Dr. Bernd Brügmann,
Inhaber des deutschlandweit einzigen
Lehrstuhls für Gravitationstheorie, sei-
nem Kollegen bei. Brügmann war von
2005 bis 2014 Sprecher des Sonderfor-
schungsbereichs/Transregio 7 (SFB/
TR 7) »Gravitationswellenastronomie«,
Schäfer sein Stellvertreter.
Was die beiden gestandenen Wissen-
schaftler und ihre Jenaer Kollegen so
begeisterte, war nicht allein die Bestäti-
gung einer wissenschaftlichen Theorie,
auf die die Physiker 100 Jahre – seit der
Veröffentlichung von Albert Einsteins
Allgemeiner Relativitätstheorie 1916 –
gewartet hatten. Es war auch eine ge-
hörige Portion Stolz dabei. Denn: Ohne
die unermüdliche, jahrelange Arbeit
im SFB/TR 7 wäre der Nachweis von
»GW150914« – so die Bezeichnung des
ersten Gravitationswellensignals – wohl
nicht geglückt. »Im SFB/TR7 haben wir
wesentliche theoretische und techni-
sche Grundlagen gelegt, die zu diesem
Erfolg beigetragen haben«, macht Brüg-
mann deutlich, der sich über den Erfolg
der Kollegen freut.
Was die US-amerikanischen Laser-In-
terferometer des LIGO empfangen ha-
ben, ist ein gerade einmal 0,2 Sekunden
dauerndes Signal mit einer Frequenz
von 35 bis 150 Hertz, das sich nur mini-
mal vom »Grundrauschen« des Univer-
sums unterscheidet.
Präzise Vorhersagen gemacht
Um so winzige Schwingungen der
Raumzeit identifizieren zu können,
waren präzise Vorhersagen über Art
und Aussehen, Energie und Form der
Signale notwendig. Und genau solche
Vorhersagen haben die Jenaer Physiker
geliefert: In aufwendigen Computersi-
mulationen haben sie u. a. die Kollision
von Schwarzen Löchern analysiert und
die sich daraus ergebenden Gravita-
tionssignale berechnet. »GW150914«
entsprach diesen Erwartungen nahezu
perfekt. Mittlerweile sind den Wissen-
schaftlern bereits weitere Gravitations-
wellensignale ins Netz gegangen. Das
Zeitalter der Gravitationswellen-Physik
und -Astronomie hat begonnen.
T E X T: U T E S C H Ö N F E L D E R , I M AG E C R E DI T S: S I M U L AT I N G E X T R E M E S PAC E T I M E S P R O J EC T (SXS)