Rubrik
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Zu viel Nestwärme macht träge
Positive elterliche Erziehung bewirkt beim Nachwuchs nicht immer nur Positives: Entwicklungspsychologen
der Universität Jena und Kollegen aus Finnland belegen, dass eine unterstützende Familie bürgerschaftli-
ches Engagement von Jugendlichen verhindern kann.
P S Y C H O L O G I E
T E X T: U T E S C H Ö N F E L D E R
Jugendliche, die viel elterliche Wärme
und Unterstützung erleben, engagieren
sich im jungen Erwachsenenalter sel-
tener bürgerschaftlich als Altersgenos-
sen, die weniger Zuwendung erhalten
haben. Dies ist das Ergebnis einer Stu-
die von Forschern der Universität Jena
und der Universitäten Jyväskylä und
Helsinki (Finnland), die im Journal of
Youth and Adolescence erschienen ist.
Der überraschende Befund stellt die
verbreitete Vorstellung infrage, dass
positives Erziehungsverhalten in jedem
Fall positive Auswirkungen auf die
Kinder und Jugendlichen in nahezu al-
len Lebensbereichen hat.
Als freiwillige Helfer in Krisenregio-
nen oder in sozialen Projekten arbei-
ten, Petitionen verfassen und sich an
politischen Debatten und Demonstra-
tionen beteiligen – für bürgerschaftli-
ches Engagement gibt es eine Vielzahl
an Möglichkeiten. »Solche Aktivitäten
sind für das Funktionieren einer jeden
Demokratie wichtig, selbst wenn es im
Inhalt des Engagements von Land zu
Land Unterschiede gibt«, sagt Dr. Maria
K. Pavlova. So sei es in den USA weitaus
verbreiteter, Bedürftigen durch eigene
Bemühungen zu helfen, als es in Kon-
tinentaleuropa der Fall ist, wo der Staat
in dieser Verantwortung gesehen wird,
erläutert die Entwicklungspsychologin.
»Davon unabhängig sind Faktoren, die
bürgerschaftliches Engagement gene-
rell fördern, etwa ein hoher Bildungs-
stand, offenbar allgemeingültig.«
Vor allem elterliche Wärme und Unter-
stützung im Rahmen einer »autoritati-
ven Erziehung« tragen dazu bei, dass
Jugendliche fürsorglich, vertrauensvoll
und sozial verantwortungsbewusst
aufwachsen. Und das – so die bisheri-
ge Annahme – erhöhe die Wahrschein-
lichkeit, dass sich diese Jugendlichen im
späteren Leben bürgerschaftlich enga-
gieren. Doch, so haben Dr. Pavlova und
ihre Kollegen Prof. Dr. Rainer K. Silbe-
reisen (Jena), Dr. Mette Ranta und Prof.
Dr. Katariina Salmela-Aro (Jyväskylä
und Helsinki) nun herausgefunden, das
Gegenteil ist der Fall. In ihrer Studie
präsentieren die Forscher Ergebnisse,
Die Entwicklungspsychologen Dr. Maria K. Pavlova
und Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen haben für ihre
Studie Umfragedaten von mehr als 1 500 Schüle-
rinnen und Schülern zu ihrem bürgerschaftlichen
Engagement ausgewertet.