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Vor exakt 150 Jahren prägte Ernst Haeckel in seinem bedeutenden Erstlingswerk
»Generelle Morphologie der Organismen« den Begriff »Ökologie« – und das in Jena. Ein Blick zurück.
Das Kalenderblatt: 150 Jahre Ökologie
T E X T: J U L I A N E D Ö L I T Z S C H
Ökologie ist im Jahr 2016 in aller Mun-
de. Wer etwas auf sich hält, lebt ökolo-
gisch wertvoll: Bewusst. Nachhaltig.
Ressourcenschonend. Doch während
sich viele an diesen Idealen messen
möchten, weiß wohl kaum jemand,
woher der Begriff stammt und dass er,
naturwissenschaftlich gesehen, noch
recht jung ist. So darf sich Jena als Ge-
burtsstätte der Ökologie betrachten,
denn erstmals erwähnte der Jenaer
Zoologe Ernst Haeckel den Terminus –
und das vor gerade erst 150 Jahren.
AlsAnhängerCharlesDarwins, demBe-
gründer der modernen Evolutionstheo-
rie, erschien im Jahr 1866 Haeckels
vielleicht bedeutendste Monographie,
die »Generelle Morphologie der Or-
ganismen« in zwei Bänden. In diesem
Opus magnum führte der Zoologe den
Terminus »Oecologie« zum ersten Mal
ins Feld. »Ausgezeichnet durch seinen
Hang zu neu einzuführenden Begriffen
geschah dies eher beiläufig, um die ak-
tuelle Lage der damaligen Biologie als
Lebenswissenschaft zu beschreiben«,
erklärt der Biologiedidaktiker und Wis-
senschaftshistoriker Prof. Dr. Uwe Hoß-
feld von der Uni Jena.
»Unter Oecologie verstehen wir die ge-
sammte Wissenschaft von den Beziehungen
des Organismus zur umgebenden Aussen-
welt, wohin wir im weiteren Sinne alle ‚Exis-
tenz-Bedingungen‘ rechnen können. Diese
sind theils organischer, theils anorganischer
Natur; sowohl diese als jene sind, wie wir
vorher gezeigt haben, von der grössten Be-
deutung für die Form der Organismen, weil
sie dieselbe zwingen, sich ihnen anzupas-
sen.« – Ernst Haeckel 1866
Die Ökologie verortete Haeckel inner-
halb der biologischen Naturwissen-
schaft als »Lehre vom Naturhaushalt«
in der Physiologie. Nicht zufällig leitet
sich das Wort aus dem Griechischen
von »oikos«, dem Haus, und »logos«,
der Lehre, ab.
Doch auch wenn der reformfreudige
Zoologe zu Beginn so begeistert seinen
eigenen Begriff verwendete, so wenig
ergänzte oder nutzte er ihn im Fortgang
seines Schaffens zur Reformierung der
Biologie. Während Haeckels berühmte
Medusenforschung gänzlich ohne die
– namentlich erwähnte – Ökologie aus-
kommen muss, spielt jene lediglich in
seinen Planktonstudien 1890 eine grö-
ßere Rolle.
»Biologische Ökonomie«
Den Grund dafür sieht Hoßfeld jedoch
eher in Haeckels »Feldzug gegen sta-
tistische Erhebungen in der Meeresbio-
logie«. »Die unermüdlichen, beinahe
inflationären Verweise auf ökologische
Verhältnisse zielten darauf ab zu zeigen,
wie sich die Problematik des Lebens in
Meeren einer mathematischen Erfas-
sung entziehe«, so Hoßfeld. Letztmalig
erwähnt Haeckel die Ökologie als »Bio-
logische Ökonomie« bzw. als die »Bezie-
hungen des Organismus zur Umgebung
und zu den Wesen, mit denen er zusam-
menlebt« dann in seinem Spätwerk »Die
Lebenswunder« im Jahr 1904.
Dementsprechend prägte Haeckel zwar
den Begriff der »Ökologie«, doch die
fachliche Konturierung erfolgte erst in
späteren Jahren. Als Teilgebiet der Bio-
logie ist die Ökologie geblieben, doch
wurde sie im Wandel der Zeit mit wei-
teren Inhalten aufgeladen und ist im
heutigen Alltagsgebrauch mit Assozia-
tionen wie Nachhaltigkeit, Umweltbe-
wusstsein, Biodiversität und funktio-
nierenden Ökosystemen verknüpft. Ob
nun im Sinne Haeckels oder neu kon-
textualisiert: Herzlichen Glückwunsch
zum Geburtstag, liebe Ökologie!
Büste Ernst Haeckels (1834 – 1919) in seinem
Arbeitszimmer im heutigen Ernst-Haeckel-Haus
in Jena.
Haeckels Arbeitszimmer. Der Raum ist im Original-
zustand erhalten. Das Ernst-Haeckel-Haus beherbergt
heute das Institut für Geschichte der Medizin, Natur-
wissenschaft und Technik der Universität Jena.