S C HW E R P U N K T
21
01 | LICHT
GEDANKEN
Ist die Welt noch zu retten?
Hartmut Rosa über globale Verantwortung und Versteinerungen in
der Gesellschaft, Resonanzfähigkeit und die Verfügbarmachung der
Welt
I N T E R V I E W: U T E S C H Ö N F E L D E R
2016 ist das »International Year of
Global Understanding« (IYGU), dem
diese Ausgabe unseres Forschungs-
magazins gewidmet ist. Das Motto
des IYGU lautet: Global denken, lokal
handeln. Das ist doch genau Ihr The-
ma, oder?
Ja, das stimmt. Der Untertitel meines
neuen Buches »Resonanz« heißt »Eine
Soziologie der Weltbeziehung« und
beschreibt diese Verbindung zwischen
dem eigenen Leben und dem globalen
Ganzen. Wobei man aufpassen muss,
dieses Motto nicht falsch zu verstehen.
Es geht nicht um globale Verantwor-
tung in dem Sinne, dass ich, wenn ich
mir einen Joghurt kaufe, verantwortlich
für sämtliche Folgen bin, etwa für die
Erdbeerlieferanten in Spanien oder die
Plastikhersteller in Polen.
Aber als Konsument in einer globa-
lisierten Welt trägt man doch Verant-
wortung.
Ja, natürlich. Aber die Idee, für alle
Folgen des eigenen Handelns verant-
wortlich zu sein, führt zu einer heillo-
sen Überforderung des Individuums.
Deshalb geht es mir darum, die Art der
Weltbeziehung des Einzelnen neu zu
denken. Ich halte die Idee für überholt,
dass der Einzelne unmittelbar kausale
Verantwortung trägt für jegliche Folgen
anderswo auf der Welt. Das bedeutet
aber nicht, dass ich mich nicht verbun-
den fühlen kann mit dem Weltganzen
und der Menschheit und versuchen
kann, Wege eines nachhaltigen und ge-
rechten »In-der-Welt-Seins« zu finden.
Prof. Dr. Hartmut Rosa hat den
Lehrstuhl für Allgemeine und Theo-
retische Soziologie der FSU inne und
ist zugleich Direktor des Max-Weber-
Kollegs in Erfurt. Seit dem Erscheinen
seines Buches »Beschleunigung«
im Jahr 2005 hat er sich bundes-
weit und international einen Namen
als Zeitsoziologe gemacht. Seine
kritischen Analysen zur Verdichtung
der Lebensverhältnisse in modernen
Gesellschaften finden nicht nur im
akademischen Bereich großen An-
klang. Rosa trifft damit auch den Nerv
einer breiten Öffentlichkeit. Kaum ein
überregionales Publikumsmedium –
von ZEIT und Spiegel über Deutsch-
landfunk bis Arte TV – das nicht
schon mehrfach über seine Thesen
berichtet hat. Zu Jahresbeginn hat der
51-Jährige nun sein neuestes Buch
mit dem Titel »Resonanz – Eine Sozi-
ologie der Weltbeziehung« vorgelegt,
in dem er einen Ausweg aus dem Di-
lemma weist. »Wenn Beschleunigung
das Problem ist, dann ist Resonanz
vielleicht die Lösung«, schreibt Rosa
darin. Statt der Steigerungslogik von
Wachstum und Beschleunigung von
einer Krise in die nächste zu folgen,
sollten sich Individuen und Gesell-
schaften wieder für Resonanzerfah-
rungen mit der Welt öffnen.