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S C HW E R P U N K T

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01 | LICHT

GEDANKEN

ausschließlich handgemacht. Keines

der unterschiedlich großen Vierecke

gleicht einem anderen.

Nach einigen Minuten Fußmarsch – im-

mer geradeaus – erreiche ich eine eher

übersichtliche Versuchsfläche. Zwar

steht auch hier das Gras beinahe einen

Meter hoch. Doch zwischen dem Grün

blühen lediglich die zartvioletten Blü-

ten der Acker-Witwenblume (Knautia

arvensis), des Wiesen-Storchschnabels

(Geranium pratense) und der Wie-

sen-Glockenblume (Campanula patula).

Auch das Wiesen-Schaumkraut (Carda-

mine pratensis) weist das kleine Schild

aus, das an einem Metallstab befestigt

ist. Mittendrin taucht plötzlich eine jun-

ge Frau im rot-weiß-gestreiften T-Shirt

auf. »Ja, man kann sich hier gut verste-

cken«, sagt sie lachend, als sie meinen

überraschten Blick bemerkt.

Dr. Anne Ebeling, Zoologin und wis-

senschaftliche

Koordinatorin

des

»Jena-Experiments«, ist seit dem frühen

Morgen mit einem kleinen gummibe-

reiften Bollerwagen auf der Wiese un-

terwegs. Während sie den Wagen, auf

dem sich Stapel kleiner Pappschachteln

türmen, zur nächsten Versuchsfläche

zieht, macht sie mich auf die anderen

Wissenschaftler aufmerksam, die an

diesem Morgen hier arbeiten. »Um

diese Jahreszeit herrscht immer Hoch-

betrieb.« Für die mehr als 100 Wissen-

schaftler, die aktuell im »Jena-Experi-

ment« arbeiten, sei jetzt die beste Zeit,

um Daten zu sammeln.

Das macht auch Anne Ebeling. In ihrem

aktuellen Projekt untersucht sie den Zu-

sammenhang von Pflanzenvielfalt und

dem von räuberischen Insekten aus-

geübten Fraßdruck. Sie öffnet eine der

Schachteln aus ihrem Wagen: Darin lie-

gen – fein säuberlich in Reih und Glied

aufgespießt – mehrere Dutzend kräftig

grüne Raupen, einen halben Zentime-

ter dick und vielleicht zwei Zentimeter

lang.

Nach einem kurzen Überraschungsmo-

ment erkenne ich jedoch: Es handelt sich

nicht um echte Raupen. Die Würmchen

in der Schachtel sind aus grüner Spiel-

knete und Anne Ebelings wichtigstes

Forschungsutensil heute. »Die verteile

ich auf dem Wiesenboden«, erklärt sie

und steckt sogleich ein Bambusstöck-

chen als Markierung in die Erde. Von

dort misst sie mit einem Zollstock ei-

nen halben Meter ab. Genau hier wird

die erste Kneteraupe zwischen den

Grashalmen mit einer Nadel im Boden

fixiert. Insgesamt legt sie zehn Raupen

in regelmäßigem Abstand auf jeder

Versuchsfläche als Köder aus und hofft,

dass sich auch Insekten und andere

Wiesenbewohner von den Attrappen

täuschen lassen.

Denn: Für Käfer, Heuschrecken und

Ameisen, aber auch Spinnen sind Rau-

pen ein willkommener Leckerbissen.

»Die Bissspuren, die wir an den fal-

schen Raupen finden, geben uns Aus-

kunft darüber, welche Tiere in der Wie-

se vorkommen. Vor allem aber darüber,

welche Arten den Fraßdruck ausüben

und wie stark dieser ist«, erläutert Anne

Ebeling.

Genau einen Tag werden die grünen

Köder in der Wiese belassen und an-

schließend genauestens untersucht.

Auf 210 verschiedenen Versuchsflächen

wird Anne Ebeling heute ihre Raupen

verteilen. Bei zehn Exemplaren pro Flä-

che macht das 2 100 Raupen, rechnet

sie vor. »Und morgen sammle ich alle

2 100 Raupen wieder ein.« Das sei sehr

typisch für die Arbeit im »Jena-Experi-

ment«. »Alles was man tut, macht man

ein paar Dutzend Mal.« Ein paar Stun-

den habe sie heute auf jeden Fall noch

zu tun. Sagt es und zieht ihren Boller-

wagen zur nächsten Versuchsfläche.

Bis zu 60 verschiedene Pflanzenarten

wachsen nebeneinander

Bis 2002 war das rund zehn Hektar gro-

ße Areal des »Jena-Experiments« direkt

am Saaleufer eine gewöhnliche Acker-

fläche und wurde wie die umliegen-

den Felder bewirtschaftet: Pro Saison

wuchsen hier lediglich eine Sorte Ge-

treide oder Futterpflanzen. Heute ste-

Dr. Anne Ebeling ist wissenschaftliche Koordinatorin des »Jena-Experiments«. Hier verteilt die Zoologin

kleine »Raupen« aus Knetgummi in einem Versuchsfeld. An diesen wird sie später Bissspuren von Käfern,

Heuschrecken und anderen Insekten untersuchen.