Lehrstuhl für Glaschemie II
Prof. Dr.-Ing. Lothar Wondraczek
Die technologische Entwicklung von Glaswerkstoffen befin-
det sich heute auf dem Weg in die dritte Generation – hin
zu einer übergreifenden Verbindung von maßgeschneider-
ten prozesstechnischen Verfahren und chemischen De-
signs, die auf dem atomistischen Verständnis von Zusam-
menhängen zwischen Werkstoffstruktur und makroskopi-
schen Eigenschaften beruhen. An dieser Schnittstelle hat
sich der Lehrstuhl mit seinen langfristigen Forschungs- und
Arbeitsschwerpunkten positioniert, derzeit unterstützt
insbesondere durch den Europäischen Forschungsrat (ERC
Grant UTOPES), durch die Europäische Kommission
(Horizon 2020 Projekte LaWin, FunGlass), durch die Deut-
sche Forschungsgemeinschaft (DFG Schwerpunktprogramm
1594) sowie durch die Carl-Zeiss-Stiftung.
Abb. 1. Topo-chemische Auslegung optisch aktiver Gläser.
Eu
3+
-dotiertes Silicatglas mit lokaler Fluoreszenzanregung durch
einen grünen Laser. Das Modelsystem demonstriert die gezielte
(topologische) Steuerung des Löslichkeitslimits von Seltenerde-
Ionen für die Entwicklung hochdotierter optisch aktiver Gläser.
Foto: Jan-Peter Kasper
Forschungsschwerpunkte
Forschungsschwerpunkt des Lehrstuhles ist die Ableitung topo-chemischer Prinzipien in nichtkristallinen Festkörpern und
unterkühlten Flüssigkeiten, deren thermokinetische Beschreibung sowie die Übertragung in neuartige Materialzustände.
Anwendungsseitig von besonderem Interesse sind dabei hier zur Zeit vor allem die Strukturdynamik sowie optische
und lokale (nano-)mechanische Eigenschaften anorganischer Gläser am Übergang zwischen kovalent, ionisch und
metallisch gebundenen Systemen.
Am Lehrstuhl werden dafür moderne Methoden der optischen Spektroskopie, hier vor allem hochauflösende Vibrations-,
Absorptions- und Fluoreszenzspektroskopie, der nanomechanischen Material- und Oberflächencharakterisierung
sowie der
in situ
Analytik angewandt und weiterentwickelt.
In Kooperation mit zahlreichen nationalen und internationalen Industriepartnern erfolgen konkrete Material-
entwicklungen bis hin zum Systemdesign, beispielsweise in den Bereichen funktioneller Fassaden- und Fensterelemente,
hochfeste Glassubstrate, Dentalmaterialien sowie funktionale Lichtleiter.
74 — FORSCHUNG
Nichtkristalline Werkstoffe sind in Form von massiven
Gläsern, Fasern, Schichten und Partikeln material- und
prozessklassenübergreifend die Schlüsselkomponente in
einer Vielzahl von optischen und energietechnischen Sys-
temen. Über die klassische schmelze-basierte Prozessie-
rung dieser Materialien hinaus bietet zum Beispiel auch
die Abscheidung amorpher Kondensate aus Flüssig- und
Gasphasen hochinteressante Möglichkeiten für die Ent-
wicklung funktionaler Werkstoffarchitekturen. Gerade in
modernen Anwendungen der Optik, Photonik und Energie-
technik sind diese Synthesewege bereits heute oft uner-
lässlich. Sie bilden daher derzeit den Schwerpunkt der am
Lehrstuhl mit Unterstützung der Carl-Zeiss-Stiftung einge-
richteten Arbeitsgruppe GFNM.
Die materialtechnische oder -chemische Entwicklung
bildet hier immer einen zentralen Bestandteil der For-
schungsaufgabe, und die Bereitstellung angepasster Hoch-
leistungsmaterialien wird zu einer essentiellen Grundlage.
Das verbindende Element zwischen allen nichtkristallinen
Werkstofftypen liegt dabei in ihrer molekularen Struktur,
welche keine Periodizität oder anderweitige Regelmäßig-
keit besitzt. In diesem Kontext besteht die große Heraus-
forderung der Materialforschung heute darin, Ordnung in
der Unordnung zu finden, das heißt, trotz der Abwesenheit
klarer, wiederholbarer und auf einen makroskopischen
Werkstoff anwendbarer struktureller Prinzipien und ato-
mistischer Bauregeln physikalische Zusammenhänge zwi-
schen Synthese, Strukturbildung sowie den resultierenden
Materialeigenschaften abzuleiten. Erschwert wird dies
durch die noch immer fundamental nicht verstandene
Strukturdynamik in tief unterkühlten oder eingefrorenen
Flüssigkeiten. Ein solches Verständnis würde aber eine
Forschungsprofil