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FSU-Newsletter/Winter 2016/17
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Ein Erdbeben als Werkzeug
Zwar fallen Erdbeben hierzulande relativ
schwach aus und erreichen selten eine
Magnitude von über drei auf der Richter-
skala, doch auch in Mitteleuropa müssen
sie aus Sicherheitsgründen beobachtet,
analysiert und wissenschaftlich erforscht
werden. Dies übernimmt ab sofort Prof.
Dr. UlrichWegler an der FSU: „In Thürin-
gen besteht vor allem im Raum Gera-Al-
tenburg eine erhöhteWahrscheinlichkeit
für Erdbeben“, informiert der neue Lehr-
stuhlinhaber für Angewandte Geophysik.
Grund dafür seien nicht etwa aufeinan-
dertreffende tektonische Platten, wie in
Erdbebenregionen wie Japan und Süd-
europa, sondern Spannungen im Unter-
grund innerhalb einer Platte. Mit Hilfe
des Thüringer seismischen Netzes, das
aus 20 Überwachungsstationen besteht,
können die Experten Vorfälle dieser Art
automatisch jederzeit registrieren und
die Stärke bestimmen.
„Mich interessiert vor allem, wie
wir uns das Innere der Erde von der
Oberfläche aus anschauen können.
Und dafür sind seismische Wellen sehr
wichtig“, erklärt Wegler seine Untersu-
chungen. Während des Physikstudiums
in Marburg und Erlangen ist er durch
die Begeisterung für Vulkane zur Geo-
physik gekommen. Nach einigen Jahren
an der Bundesanstalt für Geowissen-
schaft und Rohstoffe in Hannover will
er sein Interesse für die Bewegungen
unter der Erde nun an die Jenaer Stu-
dierenden hier weitergeben. sh
Römische Sklaven und selbstfahrende Autos
Vieles, was die Römer geschaffen ha-
ben, ist heute entweder nur in Ruinen
erhalten oder schlummert noch unter
der Erde. Doch z. B. die Errungenschaft
des Römischen Rechts hat zweifelsohne
überdauert. Es findet sich in gültigen Ge-
setzen wieder und wird weiterhin an Uni-
versitäten gelehrt. „Um die Grundsätze,
die bis heute lebendig geblieben sind,
zu verstehen, hilft es zu wissen, woher
sie kommen und was sich die Schöpfer
dabei gedacht haben“, begründet Prof.
Dr. Jan Dirk Harke, neuer Professor für
Bürgerliches Recht, Römisches Recht
und Europäische Rechtsgeschichte, die
wissenschaftliche Beschäftigung mit
demThema.
Sogar Lösungen für aktuelle Rechts-
probleme vermag das Römische Recht
zu liefern. So hat sich der 47-Jährige im
vergangenen Jahr damit beschäftigt, ob
die römische Sklavenhalterhaftung recht-
liche Grundsätze liefern könnte, die sich
auf Haftungsprobleme mit „intelligen-
ten Agenten“, also z. B. selbstfahrenden
Autos, übertragen lassen – ein Bereich,
der rechtlich großteils noch ungeklärt ist.
Nach dem Studium sowie der Promo-
tion in Freiburg und einem Ausflug in
die Praxis in Berlin war er in den vergan-
genen 13 Jahren an der Uni Würzburg
tätig. „Ich wollte einfach nochmal etwas
Neues ausprobieren, und die Universität
– und nicht zuletzt auch die Stadt – Jena
haben mich vollends überzeugt“, erklärt
Harke seinen Wechsel.
sh
Foto:Kasper
Foto:Kasper
Prof. Dr. Ulrich
Wegler.
Prof. Dr. Jan Dirk
Harke.
Prof. Dr. Alice
Stašková.
Foto:Günther
Aufsprengen der Kategorien
Als sie das erste Mal den Bahnhof Jena-
Paradies verließ und die Stadt betrat, sei
sie gerührt gewesen, sagt Prof. Dr. Alice
Stašková. Sie habe gespürt, „hier war
Friedrich Schiller.“ Der Dichter begleitet
die 44-Jährige schon lange und hat sie
nun nach Jena geführt, wo sie kürzlich
zur Professorin für Neuere deutsche Li-
teratur ernannt wurde.
Geboren in Prag hat Stašková sich früh
für die deutsche Literatur entschieden.
Als sie 14 war, habe ihr Vater ihr Goe-
the und Kafka hingelegt. „Und ich habe
schnell gemerkt, dass man das im Ori-
ginal lesen muss.“ Sie studierte in Prag,
Leipzig, Heidelberg und Paris Germanis-
tik und Romanistik, lehrte dann u. a. in
ihrer Heimatstadt sowie in Berlin.
In Jena wird sie sich v. a. dem „langen
18. Jahrhundert“ widmen – der Zeit zwi-
schen dem Ende des 17. Jahrhunderts
und der Biedermeierzeit, in der auch
Schiller seinen Platz hat. „In dieser Epo-
che, in der die Aufklärung eine zentrale
Rolle einnimmt, waren Ländergrenzen
geistig mehr oder weniger aufgehoben
und der Gattungsbegriff in der Litera-
tur noch völlig aufgebrochen“, erklärt
Stašková. „Man spürt, wie sich die Wei-
chen für die Moderne stellen.“ Dieses
Aufsprengen von Kategorien schätzt sie
sehr in der Literatur. In der Lehre will sie
insbesondere drei Dinge vermitteln: die
Schönheit der Texte, die bereichernde
Beschäftigung mit etwas Fremdem und
die Lust an der Erkenntnis.
sh
Prof. Dr. Ines Engel-
mann.
Wie man 800 000 Tweets untersucht
Bei Twitter kann heute jeder seine Mei-
nung der breiten Öffentlichkeit mitteilen.
WelcheTweets relevant sind, untersucht
Prof. Dr. Ines Engelmann. Dafür muss
die neue Professorin für Kommunikati-
onswissenschaft mit dem Schwerpunkt
empirische Methoden zuweilen 800000
Beiträge auswerten, wie sie bei einer In-
haltsanalyse zur Energiewende erlebte.
Die Ergebnisse waren weniger überra-
schend: „Twitter ist ein Elitemedium“,
sagt die 39-Jährige. Dennoch würden
am häufigsten emotionale Äußerungen
retweetet. Der Journalismus beschäftigt
sie schon seit Langem: So erhielt sie für
ihre in Jena angefertigte Dissertation
„Alltagsrationalität im Journalismus“
den Promotionspreis der FSU. Das Ar-
beiten in der Redaktion ist der gebürti-
gen Spreewälderin dabei nicht fremd,
doch schnell habe sie gemerkt, dass ihr
Herz für die Wissenschaft schlage.
In Jena schätzt Engelmann, die an
der Uni Leipzig studiert hat, das „gute
Arbeitsklima“ und ist daher gern von
der LMU München, wo sie bis 2014
für zwei Jahre tätig war, zurückgekehrt.
Hier vertrat sie zunächst nicht nur die
eigene Professur, sondern begann auch
ein Forschungsprojekt zur Qualität von
Nutzerkommentaren. Den Studieren-
den möchte sie die Angst vor Statistik
nehmen, indem sie forschungspraktisch
unterrichtet und verschiedene Lehrme-
thoden einsetzt, um„flexibel auf die Stu-
dierendenbedürfnisse einzugehen“. jd