Rubrik 37
01 | LICHT
GEDANKEN
Original-Publikation
Diefenbeck M et al. (2016) Gentamicin coa-
ting of plasma chemical oxidized titanium
alloy prevents implant-related osteomye-
litis in rats Biomaterials, https://dx.doi. org/10.1016/j.biomaterials.2016.05.039Kontakt
Prof. Dr. Klaus D. Jandt
Otto-Schott-Institut für Materialforschung
Löbdergraben 32, 07743 Jena
Telefon: 03641 / 947730
E-Mail:
k.jandt@uni-jena.de www.osim.uni-jena.deIn Deutschland werden mittlerwei-
le pro Jahr ca. 200000 Hüftprothesen
und 100000 Knieprothesen implantiert.
Diese künstlichen Gelenke funktionie-
ren in fast allen Fällen hervorragend
und lassen die Patienten einen Großteil
ihrer gewohnten Mobilität wiederge-
winnen. Komplikationen bei der ope-
rativen Implantation der Kunstgelenke
sind selten. »Bei der Implantation einer
Hüft- oder Knie-Totalendoprothese
liegt die Gefahr einer postoperativen
Infektion bei nur ein bis zwei Prozent.
Allerdings stellt eine solche Infektion
für die wenigen betroffenen Patienten
eine Katastrophe dar«, berichtet PD Dr.
Michael Diefenbeck, ehemaliger Mit-
arbeiter der Klinik für Unfall-, Hand-
und Wiederherstellungschirurgie des
Universitätsklinikums Jena, der als
Dozent der Universität weiterhin ver-
bunden ist. »Zur Behandlung dieser
implantat-assoziierten Infektionen sind
häufig mehrere Operationen und oft
der Wechsel des Kunstgelenks nötig.
Daher sind neue Strategien notwendig,
um Implantat-assoziierte Infektionen
zu vermeiden«, sagt der Mediziner, der
mittlerweile am Universitätsklinikum
in Oxford tätig ist.
Eine dieser Strategien ist es, die Ober-
fläche der Implantate mit antibakteriel-
len Substanzen auszustatten. Eine sol-
che innovative Beschichtungstechnik
wurde im interdisziplinären Verbund
von Wissenschaftlern des INNOVENT
e. V. in Jena, des Lehrstuhls für Mate-
rialwissenschaft der Friedrich-Schil-
ler-Universität und des Thüringer Im-
plantatherstellers Königsee Implantate
GmbH entwickelt und getestet.
Beschichtung löst sich wieder ab
Die spezielle Beschichtung enthält eine
hohe Konzentration des Antibiotikums
Gentamicin. Zwar sind bereits mehrere
antibakterielle Beschichtungen, auch
unter Verwendung von Gentamicin,
zum Schutz vor Infektionen bekannt.
»Die Herausforderung ist es, eine mög-
lichst große Menge an Gentamicin sta-
bil an die Oberfläche der Implantate zu
binden«, betont Dr. Christian Schrader.
Der Wissenschaftler vom INNOVENT
e. V. testete hierzu verschiedene Träger-
stoffe. »Wir haben auf den Implantaten
eine Gentamicin-Tannin-Schicht reali-
sieren können, die stark antibakteriell
wirkt, sich aber innerhalb von fünf Ta-
gen vollständig abbauen lässt. Das ist
wichtig, um Antibiotikaresistenzen zu
vermeiden«, so der Chemiker. »Durch
die Auflösung der Schutzschicht wer-
den die Poren in der Titanoberfläche
wieder frei, was das Einwachsen von
Knochen und so die Verankerung des
Implantats verbessert«, ergänzt Jür-
gen Schmidt, der das Projekt beim
INNOVENT e. V. leitet.
In einer vorklinischen Studie haben die
Wissenschaftler gezeigt, dass die Im-
plantate mit der neuen Oberfläche in
über 90 Prozent der Fälle einen Schutz
vor der Anhaftung von Bakterien bie-
ten.
»Diese Erkenntnisse sind nicht nur
wissenschaftlich interessant, sondern
könnten auch die Grundlage für eine
neue Generation von sicheren Implan-
taten legen«, sagt Prof. Dr. Klaus D.
Jandt. Der Experte für Biomaterialien
hat den Lehrstuhl für Materialwissen-
schaft der Uni Jena inne und arbeitet
seit Jahren an der Entwicklung und
Strukturierung von Materialien, die in
biologische Systeme integriert werden.
Mit ihren Erfahrungen wollen die Wis-
senschaftler die neuen Implantate nun
auch klinisch einsetzen. »Gerade bei
Patienten, bei denen ein erhöhtes Ri-
siko für postoperative Infektionen be-
steht – z. B. durch Diabetes mellitus,
Abwehrschwäche, immunsuppressive
Medikamente oder bei Wechselopera-
tionen – könnten diese Implantate zum
Einsatz kommen«, so Unfallchirurg
Diefenbeck.
Bild links oben: Raster-Elektronenmikroskopische
Aufnahme eines antibakteriell beschichteten
Implantats. Die Oberfläche ist komplett mit der
Schutzschicht aus Tannin und Gentamicin über-
zogen. Bild links unten: Das gleiche Implantat nach
fünf Tagen im Wasserbad. Die Schutzschicht hat
sich fast vollkommen abgelöst, nur noch kugelför-
mige Reste der Gentamicin-Tannin-Schicht sind zu
erkennen. Nun tritt die poröse Struktur der Titan-
oxidoberfläche wieder hervor.
Bild rechts: Der Materialwissenschaftler Prof. Dr.
Klaus D. Jandt.