Lichtgedanken 06

Rubrik 60 Mit dem Schwert nach Amerika Vorlesungen, Seminare, Praktika prägen den Alltag von Studierenden. Es gilt Leistungspunkte zu sammeln, um mit einem möglichst guten Abschluss in der Tasche den Weg in eine akademi- sche Karriere oder eine gute Position in der Wirtschaft zu finden. Das ist in Jena nicht anders als an anderen Universitäten. Doch das kreative Umfeld der Universität weckt manchmal auch ungewöhnliche Ideen, die auf keinem Stundenplan stehen: Hier stellen wir Studierende vor, die ein eigenes Schwert geschmiedet und sich damit ins (Wett)Kampfgetümmel gestürzt haben. TEXT: TILL BAYER Alles fing im November 2017 an. Die Studierenden der Werk- stoffwissenschaft Michéle Scholl und Maximilian Keller über- legten, wie sie ihr theoretisches Wissen über metallische Werk- stoffe praktisch testen könnten. Da kam den beiden eine Idee: Sie wollten ein eigenes Schwert schmieden. Sowohl bei ihren Kommilitonen als auch bei den Lehrkräften am Otto-Schott-Institut für Materialforschung stießen sie da- mit auf Begeisterung. Schnell entstanden eigene Vorlesungen undWorkshops, in denen sich die TeilnehmendenWissen über Schwerter und das Schmiedehandwerk aneigneten. Auch die Mitarbeitenden der Werkstatt des Instituts standen den Stu- dierenden mit ihrem Sachverstand und Einfallsreichtum zur Seite. Michéle Scholl und ihre Mitstreiter skizzierten Entwür- fe für das Design der Schwertklinge und suchten Sponsoren, welche unter anderem den Schmiedekoks und eine Wärme- bildkamera bereitstellten. Neben Geistes- auch Muskelkraft gefragt Und dann ging es los, es wurde geschmiedet. Und dabei war neben Geistes- vor allem Muskelkraft gefragt. Im Mai 2018 fuhren sechs Mitglieder des Teams für ein Wochenende ins thüringische Mellenbach, wo es eine abgelegene traditionel- le Schmiede gibt. »Theoretisch hätten wir auch im Hinterhof unseres Instituts schmieden können, doch dann hätte es wohl schon nach einer halben Stunde Beschwerden wegen Lärm- belästigung gegeben«, sagt Scholl schmunzelnd. Stattdes- sen schwangen sie also in Mellenbach von früh bis spät die Schmiedehämmer. Die anfänglich runde Metallstange wurde zunächst mit mäch- tigen Vorschlaghämmern bearbeitet. Danach glättete und rich- tete das Team das im Feuer zumGlühen gebrachte Stück Stahl, um es in eine flache und gerade Form zu bringen. Die weite- ren Arbeitsschritte wurden ebenfalls manuell ausgeführt: da- runter das Abschleifen des Zunders, den das Schmiedefeuer auf dem Material hinterlässt, und das »Normalisieren«, bei dem die Spannung im Metall durch langsames Erhitzen und Abkühlen gelöst wird. Die ganze Zeit über musste das Team aufmerksam kontrollieren, ob sich Risse bilden. Das kann passieren, wenn die Glut nicht die richtige Temperatur be- sitzt. Schlussendlich, nach den beiden letzten Prozessen des Härtens und des Schleifens, hielten sie die fertige Klinge in Händen. Das Ergebnis dieser Mühen sieht buchstäblich glänzend aus. Das Schwert ist etwa 75 Zentimeter lang, knapp drei Kilo- gramm schwer und wurde auf den Namen »Hugin« getauft. Der matt schimmernde, silberne Stahl erscheint mit bloßem Auge makellos. Diesen Eindruck bestätigten auch die an- schließenden Tests. Das Team durchleuchtete »Hugin« mit verschiedenen Prüfverfahren und setzte dabei Röntgenstrah- len, Ultraschall und Wechselstrom ein. Mit diesen Methoden lassen sich selbst kleinste Haarrisse oder Einschlüsse im Me- tall feststellen. Zu den Tests gehörten außerdem die sogenann- ten zerstörenden Prüfverfahren, bei denen die Klinge bis zum Zerspringen gebogen und gestreckt wird. Selbstverständlich benutzten die Studierenden dafür nicht Hugin selbst, sondern ein parallel dazu hergestelltes Zwillingsschwert. Schon während der Schmiedevorbereitungen gab es Überle- gungen, an einem Wettstreit teilzunehmen. Als Scholl dann auf einer materialwissenschaftlichen Konferenz eine Vertrete- rin der »The Minerals, Metals & Materials Society« (TMS) traf, die ihr vorschlug, beim nächsten internationalen Wettbewerb der Organisation anzutreten, »brauchte sie keine besonderen Überredungskünste.« So fand sich das Team noch einmal zu- sammen, um an Hugin den letzten Schliff vorzunehmen. Für den Griff des Schwertes wurde noch ein Knauf hergestellt – in Anlehnung an den Namensgeber des Schwertes – einen Raben aus der nordischen Mythologie – in Form eines Rabenkopfes. Im März 2019 machten sich Michéle Scholl und Hugin dann auf die Reise. Die »TMS Bladesmithing Competition« wurde in San Antonio im US-Bundesstaat Texas ausgetragen. Doch wie transportiert man eigentlich ein Schwert im Flug- zeug in die USA? Natürlich kann man es nicht einfach im Handgepäck mitnehmen. Um beim Zoll nicht als gefährliche Waffe durchzugehen, musste »Hugins« Schneide stumpf blei- ben. Das Schwert wurde in einer Angeltasche eingeschlossen und mit einer schützenden Schicht aus Schaumstoff und Sty- ropor umhüllt. Mit der Tasche weckte Scholl, angekommen am Flughafen, natürlich das Interesse der Polizei. Schwierig- keiten bekam sie jedoch nicht. Die Beamten waren vielmehr beeindruckt und riefen ihre Kollegen herbei, damit sie sich das ungewöhnliche Gepäckstück ansehen konnten. BeimWettbewerb ging »Hugin« leider leer aus. Michéle Scholl zieht trotzdem eine positive Bilanz. »Wir sind stolz, dass wir es so weit geschafft haben.« Der Wettbewerb hat ihr so viel Spaß gemacht, dass sie in zwei Jahren gerne nochmal mit ei- nem neuen Schwert antreten würde. Hinter den Kulissen

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