Lichtgedanken 06
Rubrik 58 New York City, Midtown Manhattan, März 2018: Im Foyer vor dem Sitzungssaal des UNO-Hauptquartiers steht eine Gruppe von neun jungen Frauen und singt. »I can’t keep quiet, no oh oh oh oh oh oh.« Besuchergruppen, Mitarbeiter, Sicherheits- leute durchqueren die Lobby, viele bleiben stehen, wippen im Takt, zücken Smartphones. »I can’t keep quiet, for anyone, anymore«. Es ist ein ruhiges, doch kraftvoll bestimmtes Lied der US-amerikanischen Sängerin MILCK, das die Gruppe hier in einer A-Cappella-Version vorträgt. Ein Jahr zuvor war es die heimliche Hymne der Protestbewegung, die Hunderttau- sende Frauen mit pink-farbigen Strickmützen gegen US-Prä- sident Donald Trump in Washington auf die Straßen führte. Die neun Sängerinnen gehören zum Jenaer Psycho-Chor. Sie tragen keine »Pussy Hats«, sondern rot-orange Blumen an der schwarzen Kleidung. Einen Schritt vor den anderen steht Romi Zäske und singt die Solo-Parts. »Let it out, let it out, let it out now. There’ll be someone who understands.« Wie wir Stimmen erkennen und wiedererkennen Wer Zäske an diesem kalten New Yorker Frühlingstag singen hört, egal ob live dabei oder per Facebook-Video, dem wird bewusst, welch starkes Ausdrucksmittel die menschliche Stimme sein kann. Und das nicht nur, wenn sie so kunstfertig eingesetzt wird, wie von den Sängerinnen des Psycho-Chors. Alter, Geschlecht, Gemütslage, über all das liefert uns die Stimme Informationen. Sogar über die Attraktivität einer Per- son bildet man sich anhand ihrer Stimme eine Meinung, völlig unabhängig davon, was sie sagt oder singt. »The Voice« Romi Zäske ist Psychologin. Romi Zäske ist Sängerin. Die mensch- liche Stimme ist ihr Forschungsgegenstand und künstlerisches Ausdrucksmittel. Das Porträt einer zielstrebigen Wissenschaftlerin, die Beruf und Hobby auf klangvolle Weise miteinander verbindet. TEXT: UTE SCHÖNFELDER Das weiß Romi Zäske nicht nur als erfahrene Sängerin. Die 37-Jährige ist promovierte Psychologin und erforscht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, was uns die Stimme über unser Gegenüber verrät. »Neben der visuellen Wahrnehmung ist die Stimme die wichtigste Informationsquelle über eine andere Person«, sagt sie. »Jeder nutzt sie, meist jedoch unbe- wusst.« Vor allem die Stimmungslage eines Menschen offen- bart sich über seine Stimme: Freude, Ärger, Wut oder Trauer zeigen sich in Tonlage, Sprechgeschwindigkeit und Lautstär- ke. Romi Zäske interessiert sich für die neuronalen Verarbeitungs- prozesse beimLernen undWiedererkennen von Stimmen. Die- se untersucht sie in ihrem Forschungsteam im Institut für Psy- chologie unter anderemmittels Elektroenzephalografie (EEG). »Wir erforschen, wie und mit welchen Strukturen das Gehirn Stimmen wahrnimmt und speichert«, erläutert sie. »Wenn wir eine Stimme das erste Mal hören, sehen die EEG-Daten anders aus, als wenn wir eine Stimme bereits kennen.« Dass sie sich als passionierte Sängerin auch wissenschaftlich mit der menschlichen Stimme befassen würde, war anfangs weder geplant noch erwartet. »Es hat sich aber durchaus glücklich gefügt«, sagt sie schmunzelnd. Schicksalhaft ver- läuft Romi Zäskes Karriere trotzdem nicht. Eher ist sie das Ergebnis engagierten Bemühens und beharrlicher Weiterent- wicklung als sie nach einer Begegnung im Jahr 2005 merkte, dass sie auf ihr Lebensthema gestoßen ist. Damals war sie als Studentin, während eines ERASMUS-Aus- landsjahres an der Glasgow Caledonian University, auf die Ausschreibung für eine Stelle als studentische Hilfskraft auf- merksam geworden. Sie bewarb sich und bekam die Stelle – Dr. Romi Zäske als Solo-Künstlerin (Bild links) und mit dem Psycho-Chor (Bild Mitte) während eines Auftritts 2018 im UNO-Hauptgebäude in New York. Bild rechts: Zäske mit einer Probandin im Forschungs- labor. Sie testet mittels EEG, wie Stimmen vom Gehirn verarbeitet werden. Der Psycho-Chor mit »Quiet« auf Youtube Porträt
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