Lichtgedanken 06
S C HW E R P U N K T 37 06 | LICHT GEDANKEN Herr Haeckel, Sie sind seit 100 Jahren tot. Wurmt es Sie, dass wir heute zwar von Darwinismus sprechen, aber kein »Haeckelianismus« entstanden ist? Haeckelianismus? Ich muss gestehen, dass mir das gefallen hätte und bedenkt man meine Leistungen, wäre das wohl nicht unverdient. Vielleicht hat es ja nicht geklappt, weil das Wort, anders als der Begriff Darwinismus, nicht so leicht von der Zunge geht. Von Darwinismus sprach man jedenfalls schon zu meiner Zeit und das hatte seine Berechtigung. Wussten Sie eigentlich, dass ich den un- vergleichlichen Darwin mehrmals per- sönlich traf und sogar er ein Bewunde- rer meiner Arbeit war? Mein Wirken hat also durchaus Früchte getragen. Im Dienste des Darwinismus wurden Sie heftigst attackiert. Wie sind Sie mit Anfeindungen umgegangen? Nach der Veröffentlichung von Darwins »Entstehung der Arten« entbrannte ein regelrechter Wissenschaftskampf. Weil so viel auf dem Spiel stand, war es aber ganz natürlich, dass man sich an die Gurgel ging. Ich selbst habe auch aus- geteilt. Einmal schrieb ich, dass gerade diejenigen Professoren, die am meisten gegen die Abstammung vom Affen pro- testierten, sich bezüglich ihrer Gehirn entwicklung am wenigsten von ihm entfernt haben. Das hatte gesessen! Sie erklärten die Evolutionstheorie so, dass jeder sie verstehen konnte. Warum war Ihnen die Aufklärung der Bevölkerung so wichtig? Darwins lichtbringender Entwicklungs- gedanke stellte das ganze menschliche Weltbild auf den Kopf. Vor allem wi- derlegte er die christliche Schöpfungs- geschichte, an die ich irrtümlicherweise selbst lange Zeit geglaubt hatte. Es lagen nun Argumente vor, dass der Mensch nicht als gewappnete Minerva aus dem Haupt des Jupiters gesprungen oder als erwachsener, sündenfreier Adam aus der Hand des Schöpfers hervor- gegangen war. Stattdessen stellte sich heraus, dass er Teil eines uralten, weit- verzweigten Lebensbaumes ist und sich nur äußerst langsam und allmählich aus dem primitiven Zustand tierischer Roh- heit zu den ersten einfachen Anfängen der Kultur emporgearbeitet hat. Welch großartige Erkenntnis! Ich sah ganz ein- fach die Notwendigkeit, alle denkenden Menschen davon zu überzeugen und sie von den Ketten der Unwissenheit und des Aberglaubens zu befreien. Sie waren nicht nur Zoologe, sondern auch Philosoph. Standen diese Diszip- linen für Sie nicht im Widerspruch? Das Gegenteil war der Fall! Wir hat- ten erkannt, dass der Mensch nur den jüngsten Zweig des Wirbeltierstammes bildete, mit den Affen als seinen nächs- ten Vettern. Bis weitere Geheimnisse des großen Welträtsels gelüftet werden würden, war es doch nur eine Frage der Zeit. Ich nahm deshalb an, dass Geist und Materie eine Einheit bilden und keine Schöpfung außerhalb der Natur existieren kann. Gott war also nicht verschwunden, sondern steckte nun in allen Dingen. Wenn sich drei Atome Sauerstoff mit einem Atom Schwefel zu Schwefelsäure verbinden, so sind diese Erscheinungen ebenso die unmittelba- ren Wirkungen Gottes wie es die Blüten der Pflanzen, die Bewegungen der Tie- re, die Gedanken des Menschen sind. Wir als Teil Ihrer Nachwelt verdan- ken Ihnen eine Vielzahl biologischer Zeichnungen. Was sagen Sie zu den Vorwürfen, dass diese nicht immer wissenschaftlich korrekt waren? Eine unerhörte Frechheit war das! Sie spielen an auf das Pamphlet von Ar- nold Braß, eines Mitglieds des bösarti- gen Keplerbundes. Dieser jämmerliche Sophist behauptete, dass ich in mei- nen Bildern dem Affen-Embryo einen menschlichen Kopf aufgesetzt habe und umgekehrt. Das war eine der elen- digsten Schmähschriften, die je gegen mich geschrieben worden sind! Bitte entschuldigen Sie meinen Zorn, aber ich habe eben ein vulkanisches Tempe- rament und selbst im Monisten-Him- mel lässt mir diese Angelegenheit kei- ne Ruhe. Nach den Vorwürfen folgte ich zunächst der bewährten Praxis von Meister Darwin, auf alle Angriffe zu schweigen, musste aber später einräu- men, dass ich einige der Zeichnungen angepasst hatte. Doch allein aus didak- tischen Gründen! Über 44 Jahre waren Sie Zoologiepro- fessor in Jena, Rufe an andere Uni- versitäten haben Sie stets abgelehnt. Warum sind Sie Jena treu geblieben? Sagen wir, dass ich in Jena einfach zu festgewachsen war, um mich lebendig ablösen zu können. Auf meinen Reisen in drei Weltteile und alle Länder Eu- ropas sehnte ich mich immer wieder dorthin zurück. In Jena ließ ich die Villa Medusa erbauen, gründete eine Familie und lernte treue Weggefährten kennen. Nun ja, mit einigen von ihnen zerstritt ich mich auch wieder. Besonders wich- tig war mir die Freundschaft mit mei- nem Fachkollegen Carl Gegenbaur, der mich überhaupt erst dazu bewog, meine akademische Laufbahn in dem schönen Universitätsdorf zu beginnen. Auf den Spuren meines Geisteshelden Goethe unternahm ich mit ihm Wanderungen durch die schöne Thüringer Landschaft. Nicht zuletzt war es auch der Universi- tät Jena zu verdanken, dass ich der Stadt immer treu blieb. Zu jeder Zeit ermög- lichte sie mir unbeschränkte Freiheit der Forschung, der Lehre und des Denkens. Auf ein Wort, Herr Haeckel! Über Ernst Haeckel ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Nicht zuletzt in der vorliegenden Ausgabe der LICHTGEDANKEN. Ein Querden- ker und Visionär sei er gewesen, ein Workaholic und genialer Künstler; aber auch ein schludriger Systematiker, ein sich selbst überschätzender Weltverbesserer und Rassist. Wie sieht Haeckel sein Werk und die Kont- roversen, die es seinerzeit darüber gab, heute? Wir fragten im Himmel der Monisten nach und wurden tatsächlich durchgestellt! Unser Autor nutzte die Gelegenheit zu einem Telefonat mit Ernst Haeckel. Alle Antworten in diesem Interview verbinden Fiktion mit tatsächlichen Äußerungen Haeckels, die folgenden Quellen entnommen sind: Hoßfeld, Uwe (Hg.): absolute Ernst Haeckel. Freiburg im Breisgau: Orange Press, 2010; Ernst Haeckel Online Briefedition: haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de INTERVIEW: TILL BAYER
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