Lichtgedanken 06
S C HW E R P U N K T 25 06 | LICHT GEDANKEN werden und so eine absolut lebensechte Illusion entstehen. Dank einer verspie- gelten Rückwand kann der Betrachter selbst Teil dieser Unterwasserwelt sein. Die Quallenmodelle bestehen aus Kunstharz und sind alle von Hand ge- fertigt. Etwa zwei Monate hat Bernhard Bock in diesem Frühjahr in Kopenhagen bei der Firma »10 Tons« daran gearbei- tet. Jede Qualle besteht aus mehreren Einzelteilen – dem Schirm, den Tenta- keln und dem Gonadenstück – einem kleeblattförmigen bläulich, violetten Muster im Schirm, das die Keimdrüsen der Qualle bildet. »Für jedes Einzelteil haben wir mittels 3D-Druck zunächst ei- nen Prototypen hergestellt, der benutzt wurde, um eine Silikonform zu gießen, die dann mit Kunstharz befüllt wurde«, erklärt Bernhard Bock grob den Herstel- lungsprozess. Das ausgehärtete Harz wurde anschließend von Hand weiter- bearbeitet, bis der typische »ghost look« der Qualle perfekt war. Mehr könne er mir dazu aber nicht sagen. »Betriebsge- heimnis«, sagt er und grinst. Die »Lebendigkeit« des Schwarms re- sultiert daraus, dass keines der Tiere einem anderen gleicht, jedes in einer eigenen individuellen Bewegungspose eingefangen scheint. Jeder der über 800 Tentakel sieht anders aus. Wie er das geschafft hat? Bock schnappt sich einen riesigen Föhn und ein einzeln liegendes Tentakel. Wenige Sekunden föhnen und er reicht mir das Stück Plastik herüber, das jetzt warm und biegsam ist. Ich kann es in sich drehen und bewegen, ohne dass die Grundform verloren geht. Sobald das Harz wieder abgekühlt ist, erstarrt es in der neuen Form. Farbenprächtige Scheibenqualle als Liebesbeweis Während die Ohrenquallen originalge- treu in Größe und Aussehen modelliert sind, erweisen die Ausstellungsmacher bei einem anderen Objekt deutlich ihre Referenz an Ernst Haeckel. In der Vitri- ne gegenüber wird die wohl berühmtes- te Qualle, die Haeckel je benannt und gezeichnet hat, zu sehen sein: Desmone- ma annasethe , heute als Cyanea annasethe bezeichnet. Das überlebensgroße, gut einen hal- ben Meter lange und rund acht Kilo schwere Modell präsentiert sich als die prachtvolle Scheibenqualle, die Haeckel in seinen »Kunstformen der Natur« ge- zeichnet hat – und gerade nicht als Ab- bild des Original-Präparats. Das war von Wilhelm Bleek, einem mit Haeckel verwandten Forscher vor der Küste Südafrikas gefangen, konserviert und Haeckel übereignet worden. Haeckel benannte die bis dahin unbekannte Quallenart nach seiner früh verstorbe- nen ersten Frau, die mit Mädchenna- men Anna Sethe hieß. Und er schmück- te seine Darstellung ordentlich aus: Das farbenprächtige Tier leuchtet in tauben- blau und rot-orange und ist umhüllt von einem üppigen Tentakelschleier, der Haeckel an Anna Sethes Haarpracht erinnert haben soll. In der aktuellen Ausstellung werden sich das Haeckelsche Modell und das originale Typusexemplar der Cyanea annasethe gegenüberstehen. Noch wird das fast 150 Jahre alte Präparat jedoch im sogenannten Nassmagazin im Keller des Museums aufbewahrt. Naturschätze in Alkohol und Formaldehyd Also wieder nach draußen, über den Hof, nach rechts eine steile Treppe hin- unter. Am Ende eines schmalen Ganges treffe ich Chefpräparator Matthias Krü- ger und folge ihm in das Magazin, in dem Fische, Lurche, Reptilien aus aller Welt in mit Alkohol und Formaldehyd gefüllten Gläsern konserviert sind. Das Kellergewölbe ist mit Magazin- schränken fast vollständig ausgefüllt, der schmale Gang in der Mitte bietet kaum Bewegungsfreiheit. Krüger be- wegt mit einem Hebel einen der Wand- Chefpräparator Matthias Krüger zwischen Regalen im Nass-Magazin des Phyletischen Museums. Hier werden auch zahlreiche Original-Präparate von Ernst Haeckel aufbewahrt und konserviert.
RkJQdWJsaXNoZXIy OTI3Njg=