Lichtgedanken 06

Rubrik 12 Als Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation haben Sie nun schon zum fünften Mal ein Gut- achten an die Bundeskanzlerin mit übergeben. Was ist der Unterschied zwischen einem Gutachten für die Politik und einer wissenschaftlichen Publikation? Der wesentliche Unterschied ist die Sprache. Die Sprache, in der man ein Gutachten erstellt, ist allgemeinver- ständlich und ohne Fachchinesisch. Außerdem fokussiert das Gutachten auf problemorientierte Darstellung und daraus ableitbaren Handlungsempfeh- lungen, wobei sich Aussagen zu theore- tischer Fundierung und umfangreichen empirischen Befunden in den Endnoten finden lassen – so werden der einfache Zugang zum Argument und eine gute Lesbarkeit insgesamt bewirkt. Die Kommission wählt die Themen also selber aus oder gibt die Politik die Schwerpunkte vor? Die Kommission agiert komplett frei. Natürlich suchen wir nach interessan- ten Fragestellungen. Und wir wählen Themen aus, die wir aktuell für relevant halten und bei denen man der Politik auch Ratschläge geben kann, etwas zu tun. Kann man sich in diesem Spannungs- feld von Politik und Wissenschaft der Parteipolitik entziehen? Unter den Kommissionsmitgliedern ist eine gewisse Neutralität gegeben, schon weil das Gutachten im Konsens entsteht. Aber natürlich reden wir mit den Parteien. Dabei geht es letztendlich um eine offene und möglichst politik- richtungsfreie Diskussion, um relevante Themen zu finden und deren Rezeption in der Politik zu kennen. Die gewonne- nen Einsichten werden im Gutachten verarbeitet, aber sachlich und nicht par- teipolitisch. Kennen die Empfänger aus der Politik die Inhalte des Gutachtens tatsächlich erst, wenn es an die Kanzlerin über- reicht wird? Ja! Wobei es bei der Übergabe meist nur einen kurzen Austausch dazu gibt. Da- nach geht es uns darum, das Gutachten und seine Inhalte in die Öffentlichkeit zu kommunizieren und zu diskutieren: in der Bundespressekonferenz, in den Ministerien, mit den Freunden und För- derern unserer Arbeit, den Forschungs- instituten und, und, und. Besonders politiknah ist die Sitzung mit dem Bun- destagsausschuss für Forschung und Bildung, wo wir das Gutachten vortra- gen und es mit den Abgeordneten dis- kutieren. Gibt es von Seiten der Politik auch aktivere Rückmeldungen? Wichtig ist, dass das Gutachten auch in einer Bundestagssitzung diskutiert wird, was nicht mit allen Gutachten ge- macht wird. Und dann bekommen wir natürlich Rückmeldung, Stellungnah- men der Ministerien und von Fachver- bänden und Organisationen. In diesem Jahr wurden Themen wie die Digitalisierung behandelt. Die entsprechende Passage haben Sie federführend erstellt. Darin haben Sie Defizite in Lehre und Verwaltung sowie fehlende Governancestrukturen bei den Hochschulen kritisiert. Wie ha- ben die Hochschulen darauf reagiert? Grundlage des Digitalisierungskapi- tels ist eine Studie, die wir von der HIS (Hochschul-Informations-System-Ge- nossenschaft) haben anfertigen lassen. Zum ersten Mal wurde deutschlandweit eine Bestandsaufnahme zur Digitalisie- rung an den Hochschulen gemacht. Sie wurden zum Stand, zu Schwierigkeiten und Erwartungen an die Digitalisierung in den Bereichen Lehre, Forschung und Verwaltung befragt. Aus den Ergebnis- sen konnten wir ableiten, dass der Di- gitalisierungsstand in der Forschung ziemlich gut ausgebaut ist. In der Lehre sieht es eher schlecht aus, in der Verwal- tung ist es noch schlechter. Die Erklä- rungen der Hochschulen waren vorher- sehbar: Das Geld reiche nicht, um die Digitalisierung adäquat zu finanzieren. Aber wir haben auch festgestellt, dass die notwendigen Strukturen noch gar nicht vorhanden sind. Es gibt immer noch Universitäten ohne Digitalisie- rungsbeauftragten. Nur wenige Uni- versitäten haben eine Digitalisierungs- strategie. Aus diesen Fakten haben wir geschlussfolgert, dass die Strukturen in den Universitäten umgestellt werden müssen, damit Digitalisierung funkti- onieren kann. Andererseits haben wir auch den Bund und die Länder in die Pflicht zur dauerhaften Finanzierung genommen. Alle Universitäten haben ein knappes Budget und sind beim Thema Digita- lisierung strukturell nicht besonders gut aufgestellt. Wenn die Politik eine große Digitalisierungsoffensive haben will, um die Unis nach vorne zu brin- gen, dann geht das bei den meisten nicht ohne zusätzliches Geld. Andern- falls müssen die Universitäten intern umschichten, was andere Probleme aufwirft. Auch eine Projektförderung ist keine Lösung, sie ist immer nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn man es richtig machen will, muss die Digitalisierung in einem Zuge kommen und etabliert werden. Daraus erwuchs Zwischen Politik und Wissenschaft Vizepräsident Prof. Dr. Uwe Cantner berät als Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation die Bundesregierung. Im aktuellen Jahresgutachten stellt die Kommission den deutschen Hochschulen kein gutes Zeugnis hinsichtlich ihrer Digitalisierungsbemühungen aus. Was es zu verbessern gibt und wie die Universität Jena in Sachen Digitalisierung aufge- stellt ist, darüber spricht der Wirtschaftsexperte im Interview. INTERVIEW: AXEL BURCHARDT

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