Lichtgedanken 05
Rubrik 48 Wirtschaftswissenschaftler der Fried rich-Schiller-Universität haben gemein- sam mit Psychologen aus Australien, Großbritannien und den USA festge- stellt: Viele der unterschiedlichen Be- völkerungsgruppen zugeschriebenen Stereotypen treffen zu. Die Forscher haben »psychologische Landkarten« erstellt, die die Ausprägungen fünf ver- schiedener Persönlichkeitsmerkmale betrachten. Dafür analysierten sie Da- ten von über 73000 Personen im Alter zwischen 20 und 64 Jahren, die an einer Online-Persönlichkeitsstudie im Rah- men des internationalen »The Big Five Project« teilgenommen haben. »Die Forschung zu kulturellen Unter- schieden von Regionen hat dank solcher großen Datensätze in den vergangenen Jahren wichtige Fortschritte gemacht«, sagt Prof. Dr. Michael Fritsch, der ge- meinsam mit seinem Kollegen PD Dr. Michael Wyrwich an der Universität Jena forscht. »Im Fokus unserer Arbeit standen dabei die sogenannten Big Five. Dabei handelt es sich um fünf Persön- lichkeitsmerkmale, die ab dem Erwach- senenalter relativ konstant bleiben und mit denen sich die Persönlichkeits- struktur eines erwachsenen Menschen umfassend beschreiben lässt«, erläutert Prof. Dr. Martin Obschonka von der Queensland University of Technology. Diese fünf Persönlichkeitsmerkmale sind: Extraversion, also eine nach au- ßen gewandte, aktive und gesellige Haltung, Verträglichkeit im Sinne von Kooperationsbereitschaft und Altruis- mus, Gewissenhaftigkeit, d. h. eine or- ganisierte, sorgfältig planende und zu- verlässige Haltung, Offenheit für neue Erfahrungen, die durch rege Fantasie, Wissbegierde und eine Vorliebe für Ab- wechslung gekennzeichnet ist sowie Neurotizismus (geringe emotionale Stabilität), also einer Tendenz zu Angst, Nervosität und Unsicherheit. Verträgliche Bayern – gewissenhafte Mecklenburger Betrachtet man nun die Ausprägungen der Eigenschaften auf der Landkarte, so ergeben sich – trotz großer Vielfalt – einige charakteristische Profile, die gängige Vorurteile teilweise bestätigen. So kann man etwa herauslesen, dass Süddeutsche und die Bewohner gro- ßer Städte, wie Berlin, Hamburg oder München, stärker nach außen gewandt sind als etwa die Menschen an der Küste. Ein ähnliches Gefälle zeigt sich auch zwischen Ost- und Westdeutsch- land, was das Bild vom introvertierten Ostdeutschen und dem eher extrover- tierten Westdeutschen bestätigt. Die Verträglichkeit ist in Mecklenburg-Vor- pommern beispielsweise weniger aus- geprägt als im südlichen Bayern, im Südwesten Deutschlands rund um Frei- burg sowie auch im westlichen Sach- sen-Anhalt. Im Gegensatz dazu errei- chen die Bewohner der Mecklenburger Seenplatte beispielsweise höhere Werte bei der Gewissenhaftigkeit – anders als die Region rund um die baden-würt- tembergische Landeshauptstadt Stutt- gart. Auch sind Menschen in Südwest- deutschland im Durchschnitt emotional stabiler als in Südthüringen oder in der Gegend um Bremerhaven. »In der Re- gionalverteilung von Neurotizismus in Deutschland sind wir auf eine Zwei- teilung Deutschlands gestoßen, die überraschend klar der historischen Li- mes-Linie entspricht – mit niedrigeren Werten südlich des Limes. Dort weisen die Menschen also eine emotional stabi- lere Persönlichkeit auf, was mit Wohlbe- finden und psychologischer Resilienz in Verbindung steht«, erläutert Fritsch. Und generell gilt auch: Landbewohner weisen ein geringeres Maß an Offenheit für neue Erfahrungen auf als Städter. Als besonders offen haben sich die Men- schen in Berlin und in den Metropolre- gionen um Hamburg, Köln, aber auch Leipzig und Dresden herausgestellt. Ost-West-Unterschiede und Migrationsmuster Unterschiede zwischen Ost- und West- deutschland fallen relativ gering aus. Dennoch zeigt sich, dass die Ostdeut- schen im Schnitt etwas weniger extro- vertiert, weniger emotional stabil und weniger offen für neue Erfahrungen sind als Westdeutsche. Die Wissenschaftler haben auch Mig- rationsbewegungen genauer unter die Lupe genommen. »Die Studie zeigt, dass Menschen, die auf dem Land ge- boren sind und in die Stadt gezogen sind, deutlich höhere Werte im Bereich Offenheit aufweisen, als die Men- schen, die auf dem Land bleiben«, sagt Michael Wyrwich. »Bei Personen, die Die psychologische Deutschlandkarte Der Norddeutsche gilt als unterkühlt, der Süddeutsche eher als gemütlich – Großstädter sind weltoffen, Land- bewohner dagegen reserviert. Es gibt nicht wenige Vorurteile gegenüber den Bewohnern einzelner Regionen in Deutschland, zum Beispiel auch im Ost-West-Vergleich. Doch wie viel Wahrheit steckt in solchen Zuschrei- bungen wirklich und wie kommt es zu regionalen Persönlichkeitsunterschieden? Eine Studie klärt auf. TEXT: SEBASTIAN HOLLSTEIN W I R T S C H A F T S P S Y C H O L O G I E
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