Lichtgedanken 05

Rubrik 40 Was bringt es, sich heute noch mit Rousseau zu befassen, welchen Nut- zen versprechen Immanuel Kant oder Hegel? Im Zeichen von Effizienzgebot, Wachstumseuphorie und Spardiktat stehen die Geisteswissenschaften unter Beschuss. Das ist in Deutschland nicht viel anders als in den Vereinigten Staa- ten. Dennoch gibt es gravierende Un- terschiede, sagt Dr. Alexander Schmidt, der am Forschungszentrum »Laborato- rium Aufklärung« und am Historischen Institut lehrt und forscht. Schmidts Schwerpunkt ist die Ideengeschichte des langen 18. Jahrhunderts. Im Juli 2018 war Alexander Schmidt zum wiederholten Male Gast an der University of Chicago, wo er gemein- sam mit dem Historiker Paul Cheney ein Sommerseminar mit dem Titel »Invisible Bonds: the Enlightenment Science of Society from Mandeville to Hegel« leitete. Ermöglicht wurde das an amerikanische Hochschullehrende gerichtete Seminar durch eine umfang- reiche finanzielle Förderung, die Che- ney und Schmidt 2017 beim National Endowment for the Humanities (NEH) eingeworben hatten. Spannend sei schon die Auswahl der Teilnehmer gewesen, sagt Alexander Schmidt. Es habe über 40 Bewerbungen aus den ganzen USA und Übersee auf sechzehn mit Stipendien verbundene Plätze gegeben. »Es kam darauf an, die richtige Mischung aus akademischer Qualität, Kommunikationsfähigkeit und einem diversen Hintergrund zu finden, der die akademische Wirklich- keit jenseits privater Eliteninstitutionen widerspiegelte«, betont Schmidt. Als Bundesstiftung sehe sich der NEH einem wachsenden Druck ausgesetzt. Anfang 2017 plante die Trump-Regie- rung, die Mittel für den NEH und das National Endowment for the Arts kom- plett zu streichen. »Das Schicksal unse- res Antrags war auf einmal mit Trumps Prestigeprojekt, der Finanzierung des Grenzwalls zu Mexiko, verknüpft.« Wachsendes Akzeptanzproblem für Geisteswissenschaften in den USA Alexander Schmidt spricht von wach- senden Akzeptanzproblemen für geis- teswissenschaftliche Fächer in den USA, nicht zuletzt seit Trumps Präsident- schaft: »Gerade bei konservativen Think Tanks wächst die Auffassung, die Geis- teswissenschaften zögen linksliberale Gegner heran, eine Förderung dieser Fächer sei Aufgabe von Philanthropen, nicht des Staates.« Dabei, so Schmidt, spielten die Geistes- wissenschaften in den Vereinigten Staa- ten traditionell eine überraschend wich- tige Rolle. Die Liberal Arts Education ist vielerorts obligatorisch für alle Studien- anfänger. Das heißt konkret, wer sich für Physik oder Medizin eingeschrieben hat, liest zunächst Texte von Homer und Platon. »Eine allgemeine humanistische Bildung wird als Grundlage einer de- mokratischen Gesellschaft angesehen«, sagt Schmidt. Es sei doch essenziell für eine funktionierende Demokratie, wenn die Bürger in ihrer Urteilskraft gefördert werden, in ihren kreativen Fähigkeiten und im Vermögen, sich kritisch mit Pro- blemen auseinanderzusetzen. Wie geschärft all diese Instrumente sind, das konnte Alexander Schmidt in dem Seminar zur Aufklärung in Chica- go erleben. Da sei beispielsweise disku- tiert worden, ob die Ideen und Ideale der Aufklärung tatsächlich für alle Men- schen gelten oder ob sie aus einem Zir- kel »alter weißer Männer« kommen und etwa für Farbige, Sklaven oder Homose- xuelle nicht mitgedacht wurden. Das Seminar war selbst bunt gemischt mit Teilnehmern auf verschiedenen Stu- fen der akademischen Karriere: So war unter anderem ein aus Pakistan stam- mender Politikwissenschaftler dabei, der in Arizona Militärveteranen unter- richtet, ein kanadischer Professor von der American University Kairo sowie ein israelischer Postdoc aus New York. Ziel des Seminars sei es nicht nur ge- wesen, die Debatte über die Natur der Gesellschaft als zentrales Thema des aufklärerischen Denkens zu disku- tieren, sondern den Teilnehmern zu- gleich Impulse für eigene Lehre und Forschung zu geben. Manche waren bereits glücklich, Zugang zur exzel- lent ausgestatteten Regenstein-Library der Universität zu haben. Denn durch die Kalkulationen effizienzorientier- ter Hochschulmanager sind vielfach etablierte Seminarbibliotheken auf die Streichliste geraten. Wer braucht noch gedruckte Bücher, wenn es doch den »Kindle« gibt? Forschen im Schatten Trumps Als Geisteswissenschaftler in den USA: Historiker Dr. Alexander Schmidt (Foto) hat 2018 ein Sommerseminar an der Universität Chicago gehalten. Das stand zunächst auf der Kippe. Der Jenaer Forscher und sein Team konkurrierten plötzlich mit Donald Trumps Grenzwall zu Mexiko. TEXT: STEPHAN LAUDIEN

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