Lichtgedanken 05
Rubrik 38 Althöfer würfelt! Eigentlich wollte Ingo Althöfer Astronaut werden. Doch es kam anders. Statt die unendlichen Weiten des Alls durchstreift er die Sphären der Ma- thematik. Und ist, entgegen manchen Klischees, ein sehr bodenständiger Gelehrter. Dass er heute in Jena lehrt, verdankt die Universität einer Reihe von Zufällen – oder dem Wirken einer »höheren Macht«. Das Porträt stellt einen Forscher vor, dessen Neugier kaum Grenzen kennt. Wer Ingo Althöfers Büro betritt, dessen Blick fällt zunächst auf einen Globus. »Ich fordere meine Besucher gern auf, mir zu zeigen, wo sie herkommen«, sagt Althöfer. Das helfe meis- tens, das Eis bei der ersten Begegnung zu brechen. Womög- lich hilft es auch, den ersten Schreck zu verdauen. Denn dass Althöfer Mathematische Optimierung lehrt, vermuten wohl die wenigsten, die das Chaos im Zimmer sehen. Doch Vor- sicht: Es mag nicht aufgeräumt aussehen, aber Althöfer findet stets auf Anhieb, was er dem Gast zeigen will. Und – schöner noch – er kann zu jedemArtefakt eine Geschichte erzählen. So gibt es eine mit Kork-Scheiben beklebte Kugel, auf der Gäste zum Abschied einen Gruß hinterlassen können: in Form einer Primzahl. Neben dem Globus steht eine Kuchen-Transport- box. Die gehöre einem österreichischen Kollegen, sagt Alt- höfer. Sie stehe dort so exponiert, damit der Kollege sie beim nächsten Besuch nicht vergisst. Dass Ingo Althöfer Mathematiker wurde, verdankt sich einer Reihe von Zufällen, sie mögen glücklich genannt werden. Als Kind hyperaktiv, verfolgte Ingo Althöfer die Apollo 8-Mission der Amerikaner und sein Berufswunsch stand fest: »Ich werde Astronaut!« Vom Vater kam der trockene Hinweis: »Dir wird doch schon beim Autofahren schlecht«, weshalb der Junior entschied, doch lieber Rechenlehrer zu werden. Vorbild mag der Großvater gewesen sein. Der hatte drei Tage dafür ver- wandt, ein perfektes Lottosystem zu entwickeln, aber nichts gewonnen. »In unserer Familie gab es eine große Toleranz für derlei Spinnereien«, sagt Ingo Althöfer. Er selbst hatte schon als Kind ein Faible für Zahlen, weshalb es für ihn vom verhin- derten Astronauten zum Mathelehrer kein so großer Schritt war. Vom Rektor seiner Schule in Lage/Lippe, dem Heimat- ort, gefördert und gefordert, wechselte Ingo Althöfer nach dem Abitur ins wenige Kilometer entfernte Bielefeld, um dort Mathematik zu studieren. Den Ehrgeiz, es bis zum Professor zu bringen, stachelte der Vater an. Nachdem ein Cousin Pro- fessor geworden war, gab der Vater das gleiche Ziel aus. Über »Mathematische Grundlagen im Computerschach« wurde Althöfer 1986 promoviert, fünf Jahre später folgte die Habi- litation, eine Arbeit über die Fehlerfortpflanzung in Spielbäu- men und Rekursionsbäumen. Seit Herbst 1994 lehrt Ingo Althöfer an der Friedrich-Schil- ler-Universität in Jena. Dabei, das räumt er freimütig ein, war Jena keineswegs sein Traumort. »Ich hatte mich in Dortmund und Passau beworben«, erzählt der 57-Jährige. Bei einer Fahrt mit der Kirchgemeinde ins Erzgebirge – Ingo Althöfer gehört der evangelisch-methodistischen Kirche an – fuhr der Bus auf der A4 an Lobeda vorbei und der Busfahrer verwies auf die Stadt Jena zur Linken. Damals war der Lobedaer Tunnel noch nicht gebaut, der Anblick der »Platte« wenig einladend. Später hielt Ingo Althöfer einen Vortrag in Jena und bekam danach eine Stelle angeboten. Er erbat Bedenkzeit und kam für eine Woche an die Saale, um das Gleitschirmfliegen zu er- lernen. In jener Woche gab es ein paar Zufälle, die den Aus- schlag für Jena gaben: Der FC Carl Zeiss gewann im Pokal in Dortmund und beim Stöbern in einer Bücherkiste fiel Althöfer das Buch »Der Untergang von Passau« in die Hände: unüber- sehbare Zeichen, die gegen die beiden Wunschorte sprachen. »Natürlich sehen das viele Leute als Zufälle an, aber ich glau- be an das Wirken einer höheren Macht!« Dank dieser höheren Macht pendelt Ingo Althöfer nun Woche für Woche von Lage nach Jena. Seiner Frau Beate wegen, die auf den Rollstuhl angewiesen ist, zieht er nicht nach Jena, son- dern ist nur von Dienstagabend bis Freitag hier: »Am Diens- tag freue ich mich auf meine Studenten, am Freitag auf meine Frau!« Porträt TEXT: STEPHAN LAUDIEN
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