Lichtgedanken 05
Rubrik 34 »Wenn der Hammer nicht den Nagel trifft …« Eine Diagnose – ein Medikament. So simpel funktioniert es in der Regel nicht. Die Wirkung von Arzneimitteln hängt von vielen Faktoren ab: Neben Alter und Körperbau spielt das Geschlecht eine wesentliche Rolle. Diese Faktoren berücksichtigt die »personalisierte« Medizin. Über deren Möglichkeiten und Grenzen spricht der Pharmakologe Prof. Dr. Oliver Werz im Interview. INTERVIEW: STEPHAN LAUDIEN UND TILL BAYER Was bedeutet personalisierte Medizin? Personalisierte – oder besser stratifi- zierte Medizin – berücksichtigt bei der Behandlung die biologische Verfas- sung der Patientinnen und Patienten. Die Wirkung eines Medikaments und dessen Abbau im Körper werden von Faktoren wie Alter, Gewicht, Geschlecht und Körperfettanteil des Patienten beeinflusst. Ein Beispiel: Wenn eine kleine schlanke Frau und ein schwer- gewichtiger Mann dieselbe Dosis eines Medikaments einnehmen, erzielt man unterschiedliche Ergebnisse. Ich selbst forsche zu geschlechtsspezifischer Me- dizin. Wo kommt die stratifizierte Medizin zum Einsatz? Als Behandlungsfelder stehen insbeson- dere die Krebstherapie und die Thera- pie viraler Erkrankungen im Fokus. Die Ausstattung der Gene der Patienten ist dabei von entscheidender Bedeutung. Wenn etwa ein Krebspatient ein entspre- chend verändertes Gen nicht besitzt, an dem das Medikament angreift, ergibt eine zielgerichtete Therapie keinen Sinn. Man muss – bildlich gesprochen – nicht mit dem Hammer draufhauen, wo kein Nagel ist. Das Medikament greift nur dann, wenn eine entsprechende Funkti- on des Gens vorhanden ist. Inzwischen sind schon Tests vorgeschrieben, bevor die jeweiligen Medikamente verschrie- ben werden. Wie wird in Jena konkret an der personalisierten Medizin geforscht? Wir sind meines Wissens das einzige In- stitut für Pharmazie in Deutschland, das gezielt die Wirkung von Medikamenten in Bezug auf das Geschlecht erforscht. Wir haben festgestellt, dass insbeson- dere bei der Wirksamkeit von Medika- menten gegen Autoimmunkrankheiten wie Rheumatoide Arthritis Unterschie- de zwischen Mann und Frau bestehen. Frauen sind von Autoimmunerkran- kungen signifikant häufiger betroffen als Männer. Ein Grund dafür liegt dar- in, dass Frauen zwei X-Chromosomen besitzen und bestimmte Allele doppelt vorliegen. Zudem üben Sexualhormo- ne einen großen Einfluss aus. Proble- matisch ist, dass sich die Entwicklung von Medikamenten noch immer am männlichen Organismus orientiert. Ein erster Schritt wäre es, die Dosierung ge- schlechtsspezifisch anzupassen. Weshalb ist die Dosierung so wichtig? Ein wichtiger Faktor für die Wirksam- keit von Medikamenten ist die Fähig- keit des Körpers, die Wirkstoffe zu metabolisieren. Es gibt unter den Pati- enten langsame, normale und schnelle Metabolisierer. Weil Wirkstoffe oft im Fettgewebe eingelagert werden, spielt zudem der Körperfettanteil eine Rolle. Dem »King of Pop« Michael Jackson, ei- nem sehr schlanken Mann, wurde wohl die überhöhte Dosis eines an sich relativ harmlosen Medikaments zum Verhäng- nis. Dieses Medikament (Propofol) wird von Frauen schneller abgebaut und aus dem Blut ins Fettgewebe umverteilt. Wird in der Forschung das dritte Geschlecht berücksichtigt? Zum dritten Geschlecht gibt es nur sehr wenig Studien. Bekannt sind zum Beispiel Untersuchungen zur Wirk- weise von Sexualhormonen nach Ge- schlechtsumwandlungen. Das Problem liegt darin, dass zu wenig biologisches Untersuchungsmaterial, zum Beispiel Blutproben, existiert. Insgesamt be- trachtet muss man leider sagen, dass Intersexuelle von der Forschung nur stiefmütterlich behandelt werden. Wie ist es bei Kindern? Für Kinder wird die Dosierung in der Regel angepasst. Ein bekannter Arznei- stoff wie Paracetamol oder bestimmte Antibiotika gibt man abhängig von Al- ter und Körpergewicht. Manche Medi- kamente dürfen Kinder überhaupt nicht einnehmen, weil sie Wachstumsprozes- se beeinflussen würden. Auch in diesem Punkt gibt es Verbesserungsbedarf. Zu- dem findet die Pubertät – also der Über- gangsbereich zwischen Kindheit und Erwachsensein – nur wenig Beachtung. Ein stärkerer Zuschnitt auf individuel- le Merkmale wäre also notwendig? Wir sehen den Handlungsbedarf ganz klar im Bereich der weichen Parame- ter. Gleichwohl handelt es sich bei der klassischen personalisierten Medizin, die sich auf individuelle Gegebenhei- ten konzentriert, um ein wichtiges For- schungsfeld. Man muss jedoch die prak- tische Umsetzung im Blick haben. Eine Genuntersuchung im Labor ist nicht günstig und auch eine ethische Frage. Viele Patienten wollen nicht, dass man ihre Gene untersucht. Sie verstehen oft- mals nicht, dass dabei nur gezielt nach bestimmten Genen geschaut wird. Prof. Dr. Oliver Werz.
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