Lichtgedanken 05

S C HW E R P U N K T 22 Es ist ein Dienstagvormittag. Zwei jun- ge Männer ziehen sich weiße Kittel über und betreten einen großen hellen Raum: Neonröhren tauchen ihren Arbeitsplatz in weißes Licht. Die Lüftung brummt leise vor sich hin und wehrt jedes an- dere Geräusch, das durch die breite Fensterfront von draußen hereingelan- gen könnte, ab. Es wird kein Wort ge- sprochen. Die beiden Männer verstehen sich auch so, die Arbeitsabläufe sind Routine. Während der eine eine Stiege brauner Hühnereier auf den Tisch stellt, hat der andere bereits Platz genommen und klappt ein Taschenmesser auf. Vor- sichtig legt er es mit der scharfen Seite der Klinge nach oben vor sich auf den Tisch. Dann greift er ohne aufzuschauen nach einem der Eier, schlägt es mit einer knappen Handbewegung auf das Me- tall, öffnet den entstandenen Riss lang- sam und lässt Dotter und Eiweiß behut- sam in eine kleine Glasschale gleiten. Schließlich stülpt er einen Glasdeckel darüber, schiebt das Gefäß zur Seite und greift nach dem nächsten Ei. Etwa 500 Hühnereier verwenden die beiden jungen Männer monatlich, manchmal mehr, manchmal weniger. Doch Martin Rabel und Paul Warncke – so heißen die beiden – arbeiten nicht etwa in einer Bäckerei oder Großküche, sondern sie promovieren am Institut für Pharmazie der Universität Jena. Dabei untersuchen sie Nanopartikel und erfor- schen, wie diese mit Gewebe und Blut interagieren und sich in einem Organis- mus verhalten. Die winzigen Materiali- en geraten bei der Entwicklung neuer Medikamente immer stärker in den Fokus. Mit ihnen lassen sich beispiels- weise Wirkstoffe zielgerichteter dahin im Körper bringen, wo sie gebraucht werden (siehe Interview S. 25). Auch in Kontrastmitteln für Diagnoseverfahren findet man Nanopartikel. Bevor sie zum Einsatz kommen, muss aber nachge- wiesen sein, dass sie dem Organismus nicht schaden. Doch wie verhalten sich die Kleinstteilchen im Körper? Können sie sich überhaupt durch ihn hindurch bewegen? Und was passiert, wenn die Partikel in ihre Bestandteile zerfallen? All diese Fragen müssen Wissenschaft- ler in umfangreichen Testreihen für je- des einzelne Material beantworten, um den idealen Partikel für die jeweilige Anwendung zu finden. Die Sicherheit von Nanopartikeln über- prüfen die Wissenschaftler zunächst mit zweidimensionalen Zellkulturen. Auf diese tragen sie die Partikel auf und be- obachten über mehrere Tage, ob die Zel- len absterben oder nicht. »Wir wissen dadurch aber noch nicht, wie sich das Nanomaterial in einer natürlichen Um- gebung verhält, was passiert, wenn die Partikel an einer Zelle vorbei gespült werden, mit Bestandteilen des Blutes wechselwirken und ob sie Blutgefäße beschädigen oder problemlos hindurch- fließen«, erklärt Warncke. Filigrane Blutgefäße auf dem Ei lassen sich als Testsystem nutzen Um diese Vorgänge genauer unter die Lupe zu nehmen, greifen die Jenaer Wissenschaftler auf befruchtete Hüh- nereier zurück. »In der Regel sind die Eier, wenn sie bei uns eintreffen, einen Tag alt«, sagt Martin Rabel. »Wir lagern sie dann drei Tage in einem Inkubator, schlagen sie auf und schauen, ob sie sich normal entwickelt haben. Danach stellen wir sie noch einmal für 24 Stun- den in die konstant warme Umgebung zurück.« Der kompakte Brutschrank steht direkt neben ihrem Arbeitsplatz. Er ähnelt ei- nem Tresor, in dem statt Gold das Eigelb in aufgestapelten Gläsern strahlt. Dass sich in den Eiern bereits ein Blut- gefäßsystem entwickelt, erkennt man mit bloßem Auge: Der leuchtend gelbe Dotter ist überzogen von feinen Blutge- fäßen. In der Mitte dieses Netzes ist ein kleiner roter Knoten zu sehen, der das Blut durch das Gefäßsystem pumpt: das spätere Hühnerherz. Er sorgt bereits in diesem frühen Stadium für einen kon- stanten Blutfluss. Und genau den be- nötigen die beiden Wissenschaftler für

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