Lichtgedanken 04

Rubrik 59 04 | LICHT GEDANKEN Projekte gern somit jeglichen Effizienzgedanken: »Luxus kann man nicht rational verteidigen. Luxus ist Verschwendung, Luxus ist irrational – und genau in dieser tiefgreifenden Erfahrung der Verweigerung von Effizienz liegt seine Bedeutung für den Menschen«, sagt der Philosoph. »Durch Luxus können wir aus den Zwängen der Zweckmäßigkeit ausbrechen. Und genau das macht ihn zu etwas elementar Menschlichem, denn nur der Mensch kann zu dem, was er für vernünftig hält, Stellung beziehen und sich entscheiden, ob er es auch verwirklichen will.« In letzter Zeit höre er oft den Satz »Das brauchen wir eigentlich nicht«, sagt Wiesing. »Das mag zwar oftmals stim- men, doch die Frage ist: Welches Menschenbild soll verteidigt werden, wenn wir uns darauf reduzieren, was wir brauchen? Sollen wir über Menschen reden wie über Maschinen, bei de- nen sich sagen lässt, was sie brauchen und verbrauchen?« In der Tradition Schillers – die Freiheit des Spiels und die Freiheit irrational aufwendigen Besitzes Der Philosoph liefert mit seiner Forschung nicht nur eine Defi- nition des Begriffs Luxus, sondern er erweitert gleichzeitig die Palette der Möglichkeiten, durch die wir ästhetische Erfahrun- genmachen können. »Nach Kant kann einzig die interesselose, sinnliche Wahrnehmung einer Sache ästhetische Erfahrungen bewirken, etwa das Betrachten eines Bildes. Doch das bloße Besitzen kann ebenfalls eine ähnliche ästhetische Wirkung haben«, erklärt Wiesing, der sich neben der Phänomenologie der Bildtheorie widmet. Zudem stellt sich der Philosoph mit seinen Überlegungen zur »Selbsterfahrung des Menschseins« unter anderem in die Tradition eines berühmten Vorgängers. »Friedrich Schiller meinte, dass der Mensch in zweifacher Form verwahrlosen kann: Er kann entweder einseitig zu ei- nem einzig triebgesteuerten, hedonistischen oder zu einem genauso einseitig rigorosen, rationalen Wesen werden. Und es ist die ästhetische Erfahrung der Freiheit, die dies verhindert«, erklärt Wiesing. »Schiller sah vor allem im Spiel einen Weg, die Erfahrung der Freiheit zu machen. Inzwischen scheint für viele Menschen auch der Besitz von irrational aufwendigen Dingen diese Möglichkeit in sich zu bergen – möglicherweise nicht zuletzt aufgrund eines immer mehr um sich greifenden Effizienzdenkens.« Im Namenspatron der Universität liegt ein wichtiger Grund, warum sich der gebürtige Münsterländer in Jena so wohl fühlt. »Zum einen bin ich immer wieder erstaunt, wenn ich er- fahre, welchen ausgezeichneten Ruf Jena im Ausland genießt – nicht zuletzt wegen seiner Historie«, erzählt der 55-Jährige, der im kommenden Wintersemester eine Gastprofessur in den USA übernimmt. »Zum anderen halte ich das hiesige Insti- tut für Philosophie für eines der spannendsten seiner Art in Deutschland.« Kaum einer kann das besser einschätzen als er, denn Wiesing ist bereits seit mehr als 20 Jahren an der Jenaer Universität. Nach seinem Studium in Münster habilitierte er in Chemnitz, übernahm schließlich verschiedene Jenaer Lehr- stühle in Vertretung, erhielt 2001 seine eigene Professur und 2009 den Lehrstuhl für Bildtheorie und Phänomenologie. Heute lebt Lambert Wiesing, der als Berufsbezeichnung nicht »Philosoph« sondern »Hochschullehrer« angibt, mit seiner Familie nach wie vor auf dem Land. Gerade diese Mischung stärke seine Arbeit. »Wenn ich in Jena bin, dann genieße ich es, sehr rege am Universitätsleben teilzunehmen. Und Zuhause kann ich mich zurückziehen und finde Ruhe zum Lesen und Nachdenken.« Denn eigentlich brauche er nicht viel mehr für seine Forschungen. Zudem profitiere er natürlich vom Aus- tausch mit anderen Menschen. Dass gerade das Luxus-Buch auf so große Resonanz gestoßen ist, sei dabei sehr hilfreich. »Mir schreiben regelmäßig Leserinnen und Leser, die mich immer wieder mit neuen Beispielen und Sichtweisen berei- chern«, sagt der Autor. Und vielleicht verrät er ihnen im Ge- genzug auch irgendwann seinen ganz persönlichen Luxus. Eher bescheiden lebt und arbeitet Luxus-Forscher Lambert Wiesing.

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