Lichtgedanken 04
Rubrik 58 Kein Luxusproblem Der Jenaer Philosoph Lambert Wiesing erforscht ein ungewöhnliches Thema: Luxus. Gemeint sind jedoch nicht Protz und Prunk. Vielmehr sieht Wiesing Luxus als Ausweg aus dem Zwang zu Effizienz und Zweckmä- ßigkeit und damit als Ausdruck unmittelbaren Menschseins. Das Porträt stellt den diesjährigen Thüringer Forschungspreisträger vor. Eher funktional erscheint das Büro Lambert Wiesings. Keine aufwendige Sitzecke, keine teuren Schreibgeräte, kein Zierrat – im Gegenteil: In den Regalen reihen sich die Aktenordner, der Schreibtisch ist auffällig aufgeräumt. Nur an den Wänden hängen farbige Aquarelle und eine eingerahmte Plastik – Wer- ke der Künstlerin Silke Rehberg, mit der Wiesing seit mehr als 20 Jahren verheiratet ist. Über seinem Computer haftet das Titelblatt eines Comics, den sie 2016 gemeinsam veröffentlicht haben. Doch ob der Bürobesitzer diese Bilder als Luxus be- trachtet, verrät er nicht. »Die Frage nach meinem ganz persönlichen Luxus bekomme ich häufig gestellt, aber ich habe sie noch nie beantwortet«, sagt Lambert Wiesing lachend, lehnt sich in seinem Schreib- tischstuhl zurück und verschränkt für einen kurzen Moment die Arme über dem Kopf. Diese Verweigerung ist etwas überraschend für einen Philosophen, der hauptberuflich Ant- worten sucht und gibt. Wiesing hat in den vergangenen vier, fünf Jahren intensiv zum Thema Luxus geforscht, ein viel gelobtes Buch darüber im Suhrkamp Verlag veröffentlicht und kürzlich für seine Arbeit den Thüringer Forschungspreis erhalten. Er hat in letzter Zeit viel über das Thema gespro- chen, mit Kollegen, Lesern und Journalisten. Auch wenn sich dabei Routine eingestellt hat, ist das Interesse am Austausch nicht verschwunden, die Begeisterung ungebrochen. Nur für diese eine ganz private Frage hat er sich eine Blankoantwort zurechtgelegt: »Ich sage dann immer, dass ich alte, in Leder gebundene Folianten liebe.« Was nach klarer Grenzziehung klingt, wirkt letztlich nur wie eine dünne Membran zwischen dem Wissenschaftler und sei- nem Forschungsgebiet. Wiesing ist Phänomenologe. Verein- facht gesagt, beschäftigt er sich damit, wie Menschen Dinge wahrnehmen, welche Erfahrungen sie dadurch machen und wie sich schließlich daraus eine Welt zusammensetzt. Dabei ist er immer sein eigener Forschungsgegenstand. »Der Phä- nomenologe geht von den persönlichen Erfahrungen aus, um in den beobachteten Phänomenen Strukturen zu finden, die notwendig sind«, erklärt er. Das bedeutet, jede phänomeno- logische Erkenntnis ist immer auch eine kleine Selbstauskunft des Philosophen. Gegen die Zwänge der Zweckmäßigkeit – Luxus als nach innen gerichtete Erfahrung So stammt auch der Anstoß, sich mit dem Thema Luxus zu beschäftigen, aus unmittelbar Erlebtem. Wiesing hatte vor fünf Jahren als Gastprofessor im britischen Oxford geforscht und dort eine spannende Parallele zwischen Luxus und Bil- dung beobachtet: »Beides ist nur für jemanden zu haben, der sich dem Streben nach Effizienz und Zweckmäßigkeit verwei- gert«, sagt er. Nach längerer Beschäftigung mit diesen Gedan- ken habe er festgestellt, dass die Philosophie dem Luxus als Phänomen bisher kaum Beachtung geschenkt hat. Für einen Philosophen kommt das einem Sechser im Lotto gleich, denn nur noch selten lassen sich Gebiete entdecken, die nicht aus- giebig bearbeitet wurden. Gerade in diesem Fall überrascht die Forschungsleerstelle, denn Luxus ist in der Gesellschaft sehr präsent. Allerdings beruht das oftmals auf einem Irrtum: »Luxus wird häufig gleichgesetzt mit Protz – also dem Zeigen von Wohlstand zum Prestigegewinn«, erklärt Wiesing. »Doch im eigentlichen Sin- ne hat er mit Selbstdarstellung nichts zu tun. Luxus ist eine zutiefst nach innen gerichtete Erfahrung, die Menschen auf ganz individuelle Weise machen können.« Während der eine einen teuren Sportwagen als Luxus betrachtet, findet ihn der andere, wenn er einen besonderen Käse verspeist. Obwohl un- terschiedliche Zahlen auf dem Preisschild stehen, können die Käufer mit beidem die gleiche ästhetische Erfahrung machen, die man von außen nicht sieht: Beide besitzen und benutzen etwas, was sich der Zweckmäßigkeit entzieht, beide verwei- TEXT: SEBASTIAN HOLLSTEIN Porträt
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