Lichtgedanken 04
S C HW E R P U N K T 26 Sie sind Zeugnisse einer längst vergangenen Zeit, die Keil- schrifttafeln aus dem Zweistromland. Zeugnisse, die zum Erbe der Menschheit gehören wie die Pyramiden von Gizeh oder die Tempel der Maya. Eine bedeutende Kollektion dieser Keilschrifttafeln und weitere Artefakte trug der deutsch-ame- rikanische Gelehrte Hermann Volrath Hilprecht (1859-1925) zusammen, die als Hilprecht-Sammlung Vorderasiatischer Al- tertümer heute zu den wertvollsten Sammlungen der Jenaer Universität gehört. In Deutschland ist die Hilprecht-Samm- lung die zweitgrößte ihrer Art, nur übertroffen von der Samm- lung im Vorderasiatischen Museum in Berlin. Auch weltweit braucht sich die Sammlung nicht zu verstecken: Wesentlich mehr Objekte gibt es weltweit nur in wenigen Sammlungen etwa in Bagdad, London, Paris, Philadelphia oder Yale. Zu Hause in der Jenaer Hilprecht-Sammlung – frei verfügbar in der ganzen Welt »Wir wollen die Sammlung nicht verstecken, sondern sie di- gital jedermann zugänglich machen«, sagt Prof. Dr. Manfred Krebernik. Der Inhaber des Lehrstuhls für Altorientalistik ist gewissermaßen der Herr über die Hilprecht-Sammlung, die etwa 3300 Exponate umfasst. Ein Teil der Exponate ist bereits auf dem Internet-Portal »cdli« (Cuneiform Digital Library In- itiative) zugänglich. Diese Website ist ein gemeinsames Pro- jekt der University of California, Los Angeles, der University of Oxford und des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsge- schichte in Berlin. Erfasst werden sollten ursprünglich nur die ältesten Keilschrifttexte aus dem 4./3. Jahrtausend v. Chr., die betreffenden Stücke der Hilprecht-Sammlung wurden bereits 1999/2000 auf konventionelle Weise eingescannt. In Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Wissen- schaftsgeschichte (MPI) in Berlin wurde 2009 damit begonnen, die gesamte Sammlung mittels 3D-Scans zu digitalisieren. Der Anstoß für das aufwendige Projekt kam während eines For- schungsaufenthaltes Prof. Kreberniks am MPI. »Die Initiative ging von Peter Damerow aus«, sagt Manfred Krebernik. Der 2011 verstorbene Wissenschaftshistoriker sei äußerst interes- siert an den Keilschrifttexten gewesen. Denn die Hilprecht- Sammlung ist im Vergleich zu anderen etwas Besonderes: Sie enthält zahlreiche wissenschaftliche und literarische Texte, darunter mehrere Vorläufer des Gilgamesch-Epos und den ältesten bekannten Stadtplan der Welt. Dieser Stadtplan von Nippur aus dem späten zweiten Jahrtausend vor Christus gehört zu den wertvollsten Exponaten der Sammlung. »Die Stadt Nippur war eine der bedeutendsten Siedlungen im Zweistromland vor Babylon«, sagt Prof. Krebernik. In Nip- pur befand sich das Kultzentrum des höchsten sumerischen Gottes Enlil, zudemmuss es dort viele maßgebliche Schreiber- schulen gegeben haben, denn die weitaus meisten uns erhal- tenen sumerischen Literaturwerke stammen aus Nippur. Der Inhalt vieler der dort gefundenen Tontafeln lässt den Schluss zu, dass sie dem Studium der Keilschrift und der alten Tradi- tionen dienten. Im Jahr 1889 begann ein Team der Universität von Pennsylva- nia – dem Hermann Hilprecht als Philologe angehörte – mit den Ausgrabungen. Zahlreiche Fundstücke gelangten ins Kaiserlich-Osmanische Museum in Istanbul, das heutige Ar- chäologische Museum (Istanbul Arkeoloji Müzesi). Hilprecht, der mit der Familie des Museumsgründers Osman Hamdi Bey befreundet war, erwarb zahlreiche Stücke oder erhielt sie geschenkt. Er hinterließ seine Sammlung 1925 der Universität Jena. Dort wurde sie durch Stücke ergänzt, die der Botaniker Heinrich Carl Haussknecht von seinen Forschungsreisen mit- gebracht hatte und die der Orientalist Arthur Ungnad erwor- ben hatte. Außer Keilschrifttafeln, die den weitaus größten Bestandteil der Sammlung ausmachen, umfasst sie archäo- logische Kleinfunde aus dem alten Orient (z. B. Terrakotten, Nadeln, Griffel und andere Geräte), sogenannte Zauberscha- len mit Beschwörungen in aramäischer Sprache sowie osma- nische Wandfliesen. Die Artefakte werden mit einem speziellen 3D-Scanner er- fasst. Dabei lesen zwei Laserstrahlen parallel die Oberfläche ab, wobei mehrere Aufnahmen gemacht werden. Mit Hilfe ei- Laserstrahl trifft antike Tontafeln Sie waren ein gängiges Kommunikationsmittel im antiken Zweistromland: Tontafeln, in die die Menschen vor mehr als 5 000 Jahren in Keilschrift ihre Texte ritzten. Alltagskorrespondenz, aber auch wissenschaftliche und literarische Texte sind so bis heute erhalten. Allein die Hilprecht-Sammlung der Universität Jena umfasst mehr als 3 000 Stücke. Diese wertvollen Zeugnisse sind in den vergangenen Jahren mittels Lasertechnik digi- talisiert worden und werden in Kürze im Internet frei zugänglich sein. TEXT: STEPHAN LAUDIEN Prof. Dr. Manfred Krebernik studiert eine der über 3 000 Keilschrifttafeln der Jenaer Hilprecht-Sammlung.
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