Lichtgedanken 04
S C HW E R P U N K T 18 Seit langem untersuchen Sie die innere Uhr von Grünalgen – womit beschäftigen Sie sich im Moment? Wir untersuchen die Eigenschaften von Cryptochromen. Das sind Eiweiße, die in vielen Organismen vorkommen und ent- weder als Rezeptoren fungieren, die Lichtinformationen an die innere Uhr weiterleiten oder selbst Bestandteil der inneren Uhr sind. In der einzelligen begeißelten Grünalge Chlamydo- monas reinhardtii gibt es unter anderem ein pflanzliches und ein tierähnliches Cryptochrom. Interessanterweise leitet das pflanzliche Cryptochrom nicht nur Lichtinformationen weiter, sondern scheint auch Teil der inneren Uhr zu sein. Wie sind Sie zu diesen Ergebnissen gekommen? Schon aus früheren Experimenten wissen wir, dass Chlamydo- monas , die wir in Dauerdunkelheit versetzen, am subjektiven Tag auf Lichtpulse reagieren und auf sie zuschwimmen, wäh- rend sie dies in der subjektiven Nacht nicht machen. Diesen circadianen Rhythmus nennt man Photoakkumulation. Kürz- lich haben wir das pflanzliche Cryptochrom aus Chlamydomo- nas auf etwa zehn Prozent reduziert und gesehen, dass sich das circadiane Verhalten der Photoakkumulation dieser Grün- algen ändert: Die Periode verlängert sich auf etwa 28 Stunden und nach ein paar Tagen tritt arrhythmisches Verhalten auf. Das spricht dafür, dass das pflanzliche Cryptochrom die inne- re Uhr von Chlamydomonas im endogenen Oszillator entschei- dend mitsteuert. Und der Mensch verfügt auch über Cryptochrome? Ja, in der Maus und im Menschen sind tierähnliche Cryptochrome als Bestandteil des endogenen Oszillators der inneren Uhr bekannt. Sie tragen damit direkt zum Wach- oder Schlaf-Zustand bei. Brauchen wir das Licht für die innere Uhr? Die innere Uhr wird über Hell-Dunkel-Zyklen synchroni- siert. Wenn man den Organismus unter Dauerschwachlicht oder Dauerdunkelheit bringt, stellt sich zum Beispiel beim Menschen eine freilaufende Periode von etwa 25 Stunden ein, Die innere Uhr Ob wir wach sind oder schlafen, ist keine Fra- ge reiner Willenskraft. Vielmehr wird unser Schlaf-Wach-Rhythmus maßgeblich von der inneren Uhr bestimmt, die in enger Beziehung zu Tageslicht und Dunkelheit steht. Die Uhr kleinster Grünalgen erforscht Prof. Dr. Maria Mittag. Im Interview spricht die Botanikerin darüber, was Ein- zeller und Mensch chronobiologisch gemeinsam haben, wie die innere Uhr ohne Licht-Dunkel-Wech- sel weitertickt und warum sie einen Nobelpreis wert ist. INTERVIEW: JULIANE DÖLITZSCH in der er einen Schlaf-Wach-Rhythmus lebt. Das heißt, der Mensch überspringt irgendwann einen Tag. Das fand Jürgen Aschoff schon in den 1960er Jahren in Experimenten heraus, bei denen das Schlaf-Wach-Verhalten von Menschen über mehrere Tage in Bunkern beobachtet wurde. Häufig haben Studenten bei solchen Experimenten mitgemacht. Sie haben dann oft parallel für Prüfungen gelernt, mussten aber natür- lich auch irgendwann schlafen. Je nach Organismus kann die Periode unter konstanten Bedingungen etwas länger oder kürzer sein als 24 Stunden. So bestimmt eine innere Uhr bei den meisten Organismen den Tagesablauf. Inwieweit ist der Tag-Nacht-Rhythmus durch Licht beein- flussbar? Im Grunde stellt jede Reise in eine andere Zeitzone eine Mani- pulation unserer inneren Uhr dar. Sind wir zwei bis drei Tage in den USA oder Australien überwinden wir den Jetlag und passen uns an den neuen Licht-Dunkel-Zyklus an, indem sich unsere innere Uhr neu synchronisiert. Das gilt für den Men- schen ebenso wie für Grünalgen. Grünalgen wüssten in Australien, wie spät es ist? Natürlich. Es gab auch Experimente von Skeptikern, die nicht an die innere Uhr glauben. Einmal wurden Bienen- völker in die USA geflogen, weil die Forscher meinten, sie würden dort einfach ihren Rhythmus weiterleben. Nach ein paar Tagen hatten sie sich jedoch an die neuen Bedingungen angepasst und ihre Uhr synchronisiert. Man hätte sie auch einfach in Deutschland in einen entgegengesetzten Dun- kel-Licht-Zyklus versetzen können, um das zu testen, wie von dem Chronobiologen Colin Pittendrigh sehr passend bemerkt wurde. Algen waren auch schon im Weltall, weil Wissenschaftler dachten, ihr Rhythmus hinge vielleicht von der Erdanziehung ab. Allerdings lief der Rhythmus der Photoakkumulation von Chlamydomonas auch im All weiter, was Dieter Mergenhagen und seine Frau Elke zeigten. Dies bestätigte, dass er auch unter Schwerelosigkeit von einer in- neren Uhr gesteuert wird. Expertin für Mikroalgen und deren Tagesuhr: Botanikerin Maria Mittag.
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