Lichtgedanken 03
S C HW E R P U N K T 71 03 | LICHT GEDANKEN Anfang September, in Thüringen herrscht mildes Spätsommerwetter. Mauro Alivernini steht mit Kollegen auf einem Tretboot mitten im Stausee Hohenfelden, rund 20 Kilometer süd- lich von Erfurt. Das Boot schwankt, als der junge sportliche Mannmit Hilfe von Thomas Biehl ein mit Metallgewich- ten beschwerten, zwei Meter langen Plastikzylinder aus dem Wasser zieht und ins Boot hebt. Braunes, von aufge- wirbeltem Schlamm gefärbtes Wasser fließt an den Seiten herunter, Alivernini bekommt im Boot nasse Füße. Er schaut zufrieden: die Sedimentprobe vom Grund des Sees verspricht ausreichend Untersuchungsmaterial. Der Probelauf war erfolgreich. Vier Tage später sitzen Alivernini, der Masterstudent Thomas Biehl und die ghanaische Wissenschaftlerin Lailah Akita im Flugzeug nach Ghana. Ihr Ziel ist Accra: Hauptstadt, Wirtschaftsme- tropole und einer der schmutzigsten Orte der Welt. Mit an Bord haben die Forscher ihre Probennahme- und Mess geräte. Alivernini und seine Kollegen wollen in dem westafrikanischen Land eine neue Methode zum Umwelt-Moni- toring testen. Ghana ist eine Elektromülldeponie Europas. Auf riesigen Halden werden im Stadtgebiet von Accra Computer, Kopierer, Faxgeräte und Fernseher aus der westlichen Welt entsorgt. Arbei- ter gewinnen metallische Wertstoffe daraus: durch bloßes Verbrennen der Plastikgehäuse unter freiem Himmel, ohne jeden Schutz für Boden, Wasser oder sich selbst. Regenwasser spült Schwermetalle und andere Schadstoffe bis in die Lagunen am Rand der Stadt, von wo aus sie auch weiter ins Meer getragen werden. »Das sind extreme Umweltschäden, die hier entstehen und sich mit besorgniserregender Ge- schwindigkeit ausbreiten«, sagt Mauro Alivernini. Es gebe kaum ökologische Standards, auch ein Bewusstsein für Umweltschutz sei in Ghana bislang nur bei wenigen Menschen vorhanden. Ent- lang der Küste, wo der größte Teil der Bevölkerung lebe, sei die Umweltzer- störung besonders massiv. Nachhaltiges Küstenmanagement Mit ihren Forschungsarbeiten wollen die Wissenschaftler die Möglichkeit für ein nachhaltiges Küstenmanagement in dem westafrikanischen Land schaffen und haben dafür wissenschaftliches Neuland betreten. Drei Wochen lang, vom 9. bis 27. September, haben sie Se- dimentproben aus verschiedenen Ge- wässern gesammelt, zunächst in Accra und seiner stark verschmutzten Um- gebung, anschließend in den Lagunen und Mangrovenwäldern im weniger verschmutzten westlichen Küstenab- schnitt Ghanas. Erste Proben haben sie direkt vor Ort untersucht, etwa zehn Kilo getrocknete Sedimente haben sie auch mit nach Jena gebracht, um sie nun genauestens »unter die Lupe« zu nehmen. Was Alivernini und seine Kollegen, in- zwischen wieder im heimischen Labor im Institut für Geowissenschaften, stu- dieren, sind Ostrakoden und Foraminife- ren : mikroskopisch kleine Lebewesen, die weltweit in Gewässern vorkommen. Mit ihren wenigen Millimetern Größe sind sie »für den Menschen normaler- weise völlig uninteressant. Schließlich übertragen sie weder Krankheiten noch kann man sie essen«, scherzt Aliverni- ni. Für ihn und andere Geologen sind die Winzlinge jedoch von riesigem Wert: Sie sammeln sich in Sedimenten an und geben Aufschluss über den Zu- stand der Gewässer. Foraminiferen sind Einzeller – Amöben, die meist von einer Kalkschale um- geben sind. Sie kommen vor allem im Meer vor. Bei Ostrakoden handelt es sich um ebenso winzige Krebstiere, die in allen Gewässertypen leben. »Diese Or- ganismen reagieren sehr sensitiv auf sich ändernde Umweltbedingungen«, erklärt Alivernini. Temperaturschwan- kungen, Änderungen im Salzgehalt des Wassers oder Schadstoffeinträge füh- ren binnen kurzer Zeit zu morphologi- schen Veränderungen an den winzigen Bild links: Naturparadies an der westlichen Küste Ghanas. Bild rechts: Geowissen- schaftler Mauro Alivernini in Begleitung eines ghanaischen Fischers auf der Fahrt durch einen küstenna- hen Mangrovenwald in der Nähe des Amanzule Flusses.
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