Lichtgedanken 03

Rubrik 58 Spuren alter Erdbeben ausgraben Bebt heute in irgendeiner Region auf der Welt die Erde, dann zeichnen technische Hilfsmittel jede kleinste Schwingung auf. Verursacht ein Beben zudem schwere Zerstörungen, sorgt die Nachrichtenlage dafür, dass wir es so schnell nicht vergessen. Doch auch Katastrophen dieser Art, von denen uns keine Aufzeichnungen vorlie- gen, haben sich in die Geschichte eingegraben. Geowissenschaftler legen ihre Spuren nun wieder frei. In den kommenden drei Jahren beschäf- tigen sich Jenaer Geowissenschaftler mit einer eher unbekannten Erdbebenzone in Europa: Slowenien und Ostitalien. »Uns sind heute vor allem die schwe- ren Katastrophen der vergangenen Zeit im Zentrum der Apenninhalbinsel präsent, doch auch in der Nachbar- schaft dieser Region kann es zu ähnli- chen Ereignissen kommen«, erklärt Dr. Christoph Grützner. Er leitet ein Pro- jekt im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Schwerpunktprogramms (SPP 2017), in dem mehrere deutsche Forschungsein- richtungen zusammenarbeiten und die tektonischen Bewegungen in dieser Re- gion untersuchen. »Die Adriatische Platte bewegt sich stetig nach Norden auf die Eurasische Kontinentalplatte zu, ungefähr zwei Millimeter im Jahr«, erläutert Grützner. Zwar sei das im Vergleich zu anderen Erdbebenzonen sehr langsam, doch seismische Aktivitäten blieben deshalb nicht aus. Beben im Mai und September 1976 forderten etwa tausend Menschen- leben und richteten erhebliche Zerstö- rungen in mehreren Städten an. Schriftliche Zeugnisse historischer Beben sind selten Eine ähnliche Katastrophe ereignete sich 1511, wie historische Dokumente bezeugen. Durch die große Zeitspanne zwischen den einzelnen Vorkommnis- sen lassen sich allerdings nur schwer durchschnittliche Wiederholraten an einzelnen Bruchzonen abschätzen, die möglicherweise wichtige Informationen über die seismischen Aktivitäten in die- ser Gegend beinhalten. »Maximal die Römer, unter deren Herr- schaft die Region etwa vor 2 000 Jahren stand, könnten uns noch mit Informatio- nen versorgen. Über alle anderen Erdbe- ben davor liegen uns keine schriftlichen Zeugnisse vor«, erklärt Geophysiker Grützner. »In dieser Region könnten also geologische Zeitbomben ticken, was aber niemand weiß, weil sie nur alle paar tausend Jahre explodieren.« Doch ein genauer Blick auf und unter die Erde kann dabei helfen, Spuren vergan- gener Erdbeben zu finden. »Zunächst werte ich am Computer hochauflösen- de Geländemodelle aus und suche nach bestimmten landschaftlichen Struk- turen, die auf tektonische Nahtzonen hinweisen – beispielsweise charakte- ristisch aussehende Flusstäler«, erklärt Grützner seine Arbeit. »Und schließlich schaue ich mir die Gegend persönlich an.« Vor Ort gräbt der Experte in die Tiefe und legt so Sedimentschichten frei, um auffällige Deformationsstrukturen zu finden. Normalerweise horizontal angeordnete Schichten können durch ein Erdbeben etwa vertikal verformt sein. »So identifiziere ich Störungsstel- len, von denen Beben ausgegangen sind und auch in Zukunft ausgehen können, und kann zusätzlich durch die Datie- rung der Sedimentschichten auch eine mögliche zeitliche Einordnung der seis- mischen Aktivitäten herausstellen.« Entstehung der Alpen erforschen Doch die Region an der Adria ist nicht nur aufgrund von Erdbeben interessant. Die tektonischen Bewegungen der bei- den Platten sind auch verantwortlich für die Entstehung der Alpen, wie Prof. Dr. Kamil Ustaszewski ergänzt. Der Professor für Strukturgeologie leitet die Arbeitsgruppe, in die auch Grützners Arbeit integriert ist. »Wir untersuchen, wie sich die Alpen gebildet haben und wie die tiefen Strukturen unter ihnen beschaffen sind«, erklärt Ustaszewski. TEXT: SEBASTIAN HOLLSTEIN Prof. Dr. Kamil Ustaszewski (l.) und Dr. Christoph Grützner studieren eine Karte der Alpen mit dem Gebiet Sloweniens und Nordost-Italiens.

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