Lichtgedanken 03
S C HW E R P U N K T 21 03 | LICHT GEDANKEN Umso wichtiger sei es, fundamentale Forschungslücken zu schließen. Der Jenaer Forschungscampus »InfectoGno- stics« arbeite bereits an besseren und schnelleren Verfahren. Das Leibniz- Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Ins- titut (HKI), Uniklinikum und Univer- sität Jena sowie weitere Partner, die beim Thema Infektionsforschung eine Schnittmenge haben, arbeiten dort eng zusammen. Wie dringend dies ist, betont Bauer: »Die Zahl der Sepsisinfektionen steigt.« In Zeiten moderner Hochleistungsme- dizin mag das zunächst verwundern, doch schafft eben diese die Bedingun- gen für die invasive Infektion. »Immer mehr Menschen werden sehr alt, oft erhalten über 80-Jährige noch ein neu- es Knie- oder Hüftgelenk«, schildert er. »Aber selbst eine geglückte Operation schwächt das Immunsystem – und in dem Moment schlagen häufig fakulta- tiv pathogene Erreger zu.« Mit solchen Keimen lebe der Mensch normalerwei- se friedlich zusammen, sie lösen nur unter bestimmten Bedingungen eine Krankheit aus. Der Pilz Candida albicans beispielsweise besiedelt mehr als 50 Prozent der Menschen an den Schleim- häuten im Mund und Rachen, im Ge- nitalbereich oder im Verdauungstrakt (siehe S. 18). »Das menschliche Immunsystem limi- tiert den Erfolg der modernen Medizin, ist sozusagen deren Achillesferse«, sagt der Jenaer Mediziner. Denn viele Medi- kamente und Therapieverfahren beein- trächtigen das Immunsystem und ma- chen es anfälliger für Keime – auch jene, die wie Candida albicans endogen, also im Körper selbst, vorliegen. Gerade das intestinale Mikrobiom, gemeinhin als Darmflora bekannt, mit Millionen von Mikroorganismen sei »schlachtentschei- dend für die Gesundheit.« Wenn sich diese Keime gegen den Körper richten, haben Ärzte oft das Nachsehen. »Deswegen ist es unheimlich wichtig, dass wir verstehen, wie Mikroorganis- men in ökologischen Systemen funk- tionieren und wie sie kommunizieren«, findet Prof. Bauer. »Da will ich von den Biologen lernen.« Wenn deren Erkennt- nisse auf die Medizin angewendet wür- den, könnten sich ganz neue Möglich- keiten ergeben – weg von dem simplen Konzept, sämtliche Krankheitserreger aggressiv mit Antibiotika zu behandeln. Andernfalls drohe die Entwicklung von immer mehr multiresistenten Kei- men, die im schlimmsten Fall in einem »postantibiotischen Zeitalter enden« könnte (siehe Kasten oben). Der Körper muss selbst die geeignete Stressantwort finden »Das bessere Verständnis für Mikroor- ganismen soll letztlich helfen, Wege zu finden, um die Abwehrkräfte und das Immunsystem zu stärken. Der Körper soll selbst eine bessere Stressantwort auf die Sepsis finden und widerstands- fähiger werden«, wünscht sich Micha- el Bauer. »Interdisziplinär gemeinsam an einem Strang zu ziehen und unsere Expertise zu bündeln, ist dafür oberste Priorität.« Nicht nur die Krankheit Sepsis (umgangssprachlich »Blutvergiftung« ), sondern auch ihre Fol- gen stellen für die betroffenen Patienten und ihre Angehörigen eine große Belastung dar. Nach dem Aufwachen aus einemmehrtägigen oder -wöchigen künstlichen Koma sind viele Patienten zunächst bewegungsunfähig. Häufig müssen sie die einzelnen Bewegungen des Körpers erst wieder erlernen, die geschädigten Organe müssen langsam ihre Funktionsfähigkeit zurückge- winnen. Nicht selten sind durch die Sauerstoffunterversorgung während der Sepsis periphere Gliedmaßen so stark beschädigt, dass das Gewebe abstirbt und operativ entfernt werden muss, was bis zu Amputationen führen kann. Zu den Langzeitfolgen gehören darüber hinaus Ge- wichts- und Leistungsverlust, Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Gelenk- und Muskelschmerzen. Auch kognitive Störungen wie Konzentrationsschwäche, Gedächtnisverlust, Taubheit und Läh- mungen können auftreten. Etliche Patienten sind von den Erlebnissen auf der Intensivstation psychisch stark belastet und müssen therapeutisch behandelt werden (siehe Interview S. 22). I N F E K T I O N E N , S E P S I S U N D D I E F O L G E N Infektionskrankheiten sind weltweit auf dem Vormarsch. Immer mehr Erreger sind mitt- lerweile gegenüber Antibiotika unempfindlich und gefährden damit die Gesundheit vieler Menschen. Es droht eine »postantibiotische Ära« , in der harmlose Krankheiten tödlich en- den können. Ein Netzwerk führender wissenschaftlicher Einrichtungen unter der Führung der Leibniz-Gemeinschaft und mit Beteiligung der Friedrich-Schiller-Universität ruft die neue Bundesregierung auf, den Kampf gegen multiresistente Krankheitserreger stärker zu unterstützen. Die Erforschung neuer Therapien und Diagnoseverfahren erfordere eine verbesserte interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Kliniken in Form von öffentlich-pri- vaten Partnerschaften. Forschungsergebnisse müssten schneller als bisher den Patienten zugutekommen, so die Unterzeichner des Aufrufs, der im November anlässlich der »World Antibiotic Awareness Week« der Weltgesundheitsorganisation in Berlin vorgestellt wurde (www.leibniz-ipht.de/fileadmin/user_upload/Aufruf_Infektionskrankheiten.pdf ). Bild links: Prof. Dr. Michael Bauer (l.) ist einer von drei Sprechern des Center for Sepsis Control and Care (CSCC). Am Jenaer Uniklinikum behan- deln der Intensivmediziner und seine Kollegen jedes Jahr etwa 400 Patienten mit einer Sepsis. Etwa ein Viertel von ihnen überlebt die Krankheit nicht. Häufige Ursachen von Sepsis sind Infektio- nen mit Bakterien oder Pilzen.
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