Lichtgedanken 03
S C HW E R P U N K T 16 Ausbreitung zu verhindern. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass die überwiegend große Zahl von Mikroben für uns gänzlich ungefährlich ist oder uns sogar nützt. Es gibt schätzungswei- se drei bis fünf Millionen Pilze; davon sind nur 150 als pathogen bekannt. Auf der anderen Seite leben wir von mikro- biellen Produkten: Wir essen Brot, Käse, Joghurt – und trinken Alkohol ( lacht ). Das heißt, wir brauchen die Mikroor- ganismen mehr als sie uns? Das heißt, das Zusammenleben, die In- teraktion zwischen Mikroorganismen und uns oder anderen höheren Lebe- wesen ist das Ergebnis einer Jahrmillio- nen dauernden Koevolution. Wir sind wechselseitig aufeinander angewiesen. Fest steht: Mikroorganismen waren die ersten Organismen auf der Welt – und sie werden vermutlich auch die letzten sein. Die Evolution sämtlicher höherer Organismen war immer ein Wechsel- spiel mit Mikroorganismen und sie dau- ert bis heute an. Wir sehen das beispielsweise in unse- rem Immunsystem. Das würde es ohne Mikroorganismen gar nicht geben. Wir verfügen über eine Vielzahl an Immun- rezeptoren, die nur dafür da sind, mit unterschiedlichen Mikroorganismen zu interagieren, weil die für uns gefährlich oder nützlich sein können. Das heißt, Mikroorganismen haben uns im Laufe der Zeit geformt und verändert, so wie wir auch die mikrobiellen Gemeinschaf- ten geformt haben. Ähnliche Beispiele lassen sich auch bei Pflanzen finden, die im Wechselspiel mit Mikroorganis- men effiziente Verteidigungsstrategien entwickelt haben. Das ist ein ständiger Wettlauf zwischen Mikroben und höhe- ren Organismen. Welche Herausforderungen gilt es für die mikrobiologische Forschung denn in Zukunft zu meistern? Was wir bis jetzt haben, ist eine umfas- sende Analytik der Mikrobengemein- schaften. Wir können ihre Genome sequenzieren und ihren Stoffwechsel, ihre Proteine und Naturstoffe analysie- ren und vergleichen. Wir können die Organismen und die Konsortien, die sie bilden, exakt beschreiben. Aber be- schreiben heißt noch lange nicht verste- hen. Die nächste Stufe der Forschung besteht daher aus Funktionsanalysen. Um zu verstehen, warum die Mikroben in dieser oder jener Zusammensetzung zusammenleben und welchen Einfluss sie auf die Umwelt und ihre Wirte wie Menschen, Pflanzen und Tiere haben, müssen wir mechanistische Analysen durchführen. Dafür brauchen wir ein ganzes Arsenal an neuenMethoden: gute Computermo- dellsysteme, um Simulationen durch- führen zu können; wir brauchen neue optische und chemische Analysemetho- den, mit denen wir die Lebensprozesse in den Organismen in Echtzeit und in situ (in der realen Umgebung) beobach- ten können. Wir wollen einzelne Zellen und Moleküle so hochaufgelöst wie nur möglich abbilden und sehen können, wie einzelne Mikroben miteinander und mit uns »sprechen«. Und auch Materi- alwissenschaftler sind gefragt, denn wir brauchen künstliche Zellen und Organe, an denen sich mikrobielle Gemeinschaf- ten untersuchen und manipulieren las- sen. Das sind wichtige Forschungsziele für die kommenden Jahre und dafür sind wir in Jena gut aufgestellt. Wir erwarten, dass daraus entscheidende Erkenntnisse für die Therapien von Krankheiten, die Landwirtschaft und den Umweltschutz resultieren. Mikrowelt mit Fichte (siehe auch Cover-Foto): Im Institut für Mikrobiologie untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Wechselspiel zwischen Baumwurzeln und Pilzen.
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