Lichtgedanken 03
S C HW E R P U N K T 15 03 | LICHT GEDANKEN Mikroorganismen sind einfach viele! Sie übertreffen in ihrer Anzahl sämtli- che anderen Organismen auf der Welt. Dadurch übersteigt auch die Zahl der mikrobiellen Gene bei Weitem die der höheren Organismen. Sie vermehren sich schnell und besitzen eine hohe Dynamik ihres genetischen Materials. Bakterien unterschiedlicher Arten sind in der Lage, Gene untereinander – über den sogenannten horizontalen Gen- transfer – auszutauschen. Dadurch gibt es einen großen Gen-Pool, der schnelle Veränderungen im Genom unterschied- licher Spezies ermöglicht. Was können wir uns denn aus der so erfolgreichen Mikrowelt abschauen? Wir können von Mikroorganismen bei- spielsweise lernen, wie man Schadstoffe in der Umwelt abbauen kann oder uns mikrobielle Stoffwechselwege in der Biotechnologie zunutze machen. Wir können die Herstellung von Naturstof- fen, etwa Wirkstoffen zur Behandlung von Krankheiten, von ihnen lernen. Vor allem aber ist es wichtig zu lernen, wie es Mikroorganismen schaffen miteinan- der und mit ihrer Umgebung zu kom- munizieren und wie sie es schaffen, ihre Gemeinschaften in einem dynamischen Gleichgewicht zu halten. Warum ist das wichtig? Nehmen wir uns Menschen als Beispiel. Wir leben mit etwa so vielen Mikroor- ganismen zusammen, wie unser eigener Körper Zellen hat. Die Frage ist dabei doch, wie schaffen es die Mikroorganis- men mit uns so im Einklang zu leben, dass wir ihnen ein komfortabler Lebens- raum sind und sie uns nicht krank ma- chen? Das haben sie im Laufe der Evolu- tion gelernt: Sie »kommunizieren« über kleine chemische Moleküle untereinan- der und mit unserer Immunabwehr und stellen so ein Gleichgewicht her. Und davon profitiert unser eigener Körper in vielfältiger Weise. Wir wollen lernen, wie das funktioniert, um solche mikro- biellen Gemeinschaften auch beeinflus- sen zu können. Welche denn zum Beispiel? Zum Beispiel die Mikroflora in unserem Darm. Sie ist nicht nur für die Verdau- ung wichtig; sie bestimmt darüber hin- aus eine Vielzahl von Prozessen, die auf unseren Gesundheitszustand und unser Wohlbefinden Einfluss nehmen. Wenn sie nicht im Gleichgewicht ist, wer- den wir krank. Es gibt Millionen von Menschen, die etwa unter chronischen Darmentzündungen leiden, weil ihre Mikroflora nicht im Gleichgewicht ist. Wenn wir wüssten, wie wir diese beein- flussen können, welche Mikroorganis- men wir fördern, welche wir drosseln müssen, dann wäre das für diese Pati- enten eine große Erleichterung. Außerdem gibt es auch Herausforde- rungen, die die gesamte Menschheit, wenn nicht gar das Leben insgesamt auf der Erde betreffen, wie den Klima- wandel. Ein Hauptproblem dabei ist das Treibhausgas Methan. Das ist ein um ein Vielfaches wirksameres Treibhaus- gas als Kohlendioxid. Und Methan wird ausschließlich von Mikroorganismen er- zeugt, die im Magen von Wiederkäuern oder im Boden leben. Wenn es uns ge- lingen würde, die mikrobiellen Konsor- tien, die heute große Mengen Methan produzieren, so zu manipulieren, dass dies gestoppt oder zumindest reduziert wird, dann hätten wir ein großes Klima- problem weniger. Nicht nur Wissenschaftler wie Sie und Ihre Kollegen aus Universität und au- ßeruniversitären Forschungsinstitutio- nen beschäftigen sich mit Mikroorga- nismen: Beim jüngsten G20-Gipfel im vergangenen Jahr in Hamburg haben die Staats- und Regierungschefs der mächtigsten Länder der Welt neben den üblichen Wirtschafts- und Fi- nanzthemen auch über von Mikroor- ganismen hervorgerufene Krankhei- ten diskutiert. Warum das? Weil Infektionskrankheiten ein riesiges und vor allem wachsendes Problem sind, hier bei uns und weltweit. Wir ha- ben allein in Deutschland pro Jahr 60 000 Todesfälle auf Grund von Infektions- krankheiten, geschätzt 30 000 Todesfälle auf Grund multiresistenter Mikroor- ganismen. Das ist eine tickende Zeit- bombe. Wir stehen in einem Wettlauf: Krankheitserreger entwickeln Resisten- zen und das wesentlich schneller als wir neue Wirkstoffe – neue Antibiotika – entwickeln können. Zwar hat es in der Menschheitsgeschichte immer wieder von Mikroorganismen hervorgerufene Epidemien gegeben, die ganze Land- striche entvölkert haben. Doch heute besteht eine ungleich höhere Gefahr da- rin, dass sich Infektionskrankheiten zu Pandemien auswachsen, sich also über Länder- und Kontinentgrenzen hinweg ausbreiten und das rasend schnell. Mit dem Flugzeug reisen Krankheitserreger heute in 36 Stunden einmal um die gan- ze Welt. Was sind denn die gefährlichsten Er- reger, von denen heute Gesundheits- gefahren für uns Menschen ausgehen? Dazu zählen mit Sicherheit multire- sistente Bakterienstämme z. B. von Klebsiella pneumoniae oder Pseudomonas aeruginosae , gegen die es kein einziges wirksames Antibiotikum mehr gibt. Diese Bakterien können lebensgefährli- che Lungenerkrankungen hervorrufen, insbesondere bei immungeschwächten Personen. Es gibt auch andere multire- sistente Keime – solche Infektionen kön- nen wir einfach nicht mehr therapieren. Hinzu kommen auch einige humanpa- thogene Pilze, die invasive Infektionen hervorrufen können, wie Hefe- oder Schimmelpilze, gegen die es bislang keine wirksamen Medikamente und Behandlungsstrategien gibt. Neuere Daten implizieren, dass zur natürlichen Abwehr gegen Infektionen ein intaktes Mikrobiom beiträgt, während dessen Funktionseinschränkung die Pforten für Infektionen und auch andere Krankhei- ten öffnet. Das Verhältnis Mensch-Mikrobe scheint also recht ambivalent: Gibt es gute Keime und schlechte Keime? Nein, das wäre eine zu anthropozentri- sche Sichtweise. Es ist fraglos wichtig, sich über Infektionskrankheiten Gedan- ken zu machen und alles zu tun, ihre Mikroorganismen haben uns im Laufe unserer gemeinsamen Koevolution geformt und verändert.
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