Lichtgedanken 02

Rubrik 46 Die ganze Welt auf einen Blick Auch in Zeiten von Google Maps noch relevant: Wissenschaftshistoriker digitalisieren rund 4 000 Schulwandkarten. TEXT: JULIANE DÖLITZSCH Norman Henniges sichtet den Bestand in der Kartensammlung der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig. Wer sich an den Geographieunterricht zurückerinnert, dem erscheinen vor dem geistigen Auge große Landkarten. Deutschland, Europa, die ganze Welt: Sie alle zierten das Klassenzimmer und hatten dabei die Aufgabe, zur topogra- phischen Wissenserweiterung beizutra- gen. Nicht selten überholten sich die da- rauf abgebildeten Darstellungen noch im Laufe der Schulzeit, denn allein in Mitteleuropa verschoben sich Länder- grenzen im 20. Jahrhundert durch die zwei Weltkriege und die deutsche Tei- lung drastisch – vom Rest der Welt gar nicht zu reden. Dies führt unweigerlich zu einer enor- men Anzahl von Schulwandkarten, die heute zwar längst veraltet, aber histo- risch von großem Wert sind. »Seit etwa 1850 erlebten Schulwandkarten einen regelrechten Hype«, erklärt Dr. Andreas Christoph. »Nicht nur unter geographi- schen Gesichtspunkten kamen sie zum Einsatz, sondern auch um ökonomische oder gesellschaftliche Zusammenhänge zu illustrieren. Sie drückten das jewei- lige Weltbild ihrer Zeit aus und prägten es mit«, führt der Wissenschaftshistori- ker vom Ernst-Haeckel-Haus aus. Weil dies einen unglaublichen Fun- dus an Erkenntnissen bereitstellt, der momentan eingerollt in den Archiven verstaubt, haben Dr. Andreas Chris- toph und der Wissenschaftshistoriker Norman Henniges in Kooperation mit dem Deutschen Buch- und Schriftmu- seum der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) das Projekt CANVAS konzipiert, um die Schulwandkarte aus ihrem Schattendasein zu befreien. Das Bun- desforschungsministerium fördert das Projekt mit 80000 Euro. Standards für Digitalisierung schaffen Die Wissenschaftler widmen sich zu- nächst der exemplarischen Digitali- sierung und der Erstellung eines Kon- zepts. »Uns geht es darum, erst einmal Standards für die weitere Arbeit festzu- legen«, berichtet Henniges. Aus techni- scher Sicht sei beispielsweise das Ein- scannen der zum Teil bis zu drei mal drei Meter großen Karten nicht möglich. »Deswegen werden sie abfotografiert – mit einer Auflösung von 100 Megapi- xeln. Dadurch gehen auch kleinste De- tails nicht verloren.« Vorrangig geht es in den kommenden Monaten um Schulwandkarten aus der Zeit zwischen 1913 und 1950. Die Wandkarten werden zukünftig für das DNB-eigene Portal verfügbar gemacht. »Das Ziel ist natürlich die Nutzbarma- chung für alle Wissenschaftler, langfris- tig über Open Access auch für alle In- teressierten«, so Projektleiter Christoph.

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