Lichtgedanken 02
Rubrik 45 02 | LICHT GEDANKEN »Zwei Attosekunden verhalten sich zu einer Sekunde wie eine Sekunde zum Alter des Universums.« Was Prof. Dr. Adrian Pfeiffer mit diesem Bild be- schreibt, ist ein kaum vorstellbarer kleiner Zeitraum: Eine Attosekunde ist der milliardste Teil einer milliardstel Sekunde. Dass Experimente in einem solch kleinen Zeitfenster nicht immer vorhersehbar sind, versteht sich fast von selbst. Nichtsdestotrotz – oder vielleicht gerade deshalb – weitet der 37-Jährige seine Forschungen zur At- tosekunde aus. Im vergangenen Jahr hat er dafür gleich zwei namhafte Sti- pendien erhalten: 40 000 Euro von der Daimler und Benz Stiftung und 100 000 Euro von der VolkswagenStiftung. Letztere unterstützt mit ihrer Förde- rinitiative »Experiment!« gewagte For- schungsideen mit ungewissem Aus- gang – ein Scheitern sei bei Erläuterung der Hindernisgründe ein gewünschtes Ergebnis. Modifikationen sind Bestandteil des Forschungsprozesses Doch wer möchte bei einer neuen For- schungsidee gleich ans Scheitern den- ken? »Jeder Wissenschaftler in der Physik untersucht heute Grenzgebiete, ob nun in der Optik oder der Festkör- perphysik. Es geht um Extreme: immer kleiner, schneller, größer. Hauptsache, es ist unbekanntes Terrain. Das macht die experimentelle Physik so span- nend«, erklärt Pfeiffer. Und das im- pliziert eben auch die Möglichkeit zu scheitern, davor müsse man sich nicht fürchten. Kein Experiment gelingt beim ersten Mal, weiß der Juniorprofessor für Attosekunden-Laserphysik aus Er- fahrung. Aber Modifikationen des Ver- suchs würde niemand als Misslingen begreifen: »Das ist einfach der Prozess des Forschens. Viel häufiger funktio- niert es nicht, als dass alles klappt.« In den Naturwissenschaften kann dies laut Pfeiffer drei Gründe haben. Fehlerhafte Materialien oder Technik, menschliches Versagen auf allen Stu- fen – vom Aufbau bis zur Auswertung – des Experiments oder schlicht eine Forschungsidee, die nicht funktioniert. »Leider weiß man nie, woran es liegt. Da gerät man schon ins Zweifeln.« An sich abprallen lassen, kann er das nicht: »Ich habe in der Hinsicht noch nichts dazu gelernt und bleibe Optimist. Und ich kann mich immer noch sehr ärgern, wenn es nicht klappt.« Aus diesen Phasen kann er auch deutlich ableiten, wo der Begriff »zerstreuter Professor« herkommt. Er sei dann so gedanken- versunken und mit dem Problem be- schäftigt, weil er herausfinden möchte, woran es im Experiment hapert. Einmal hat er eine, wie er sagt, ver- rückte Idee gehabt. Sehr schnell und aussagekräftig hätte sie im Bereich der Spektroskopie neue Erkenntnisse brin- gen können. Doch der Versuch hat und hat nicht funktioniert, irgendwann hät- te er es dann aufgegeben. Noch liegt die Ideenskizze im Schreibtisch, aber ihre Schublade wird sie wohl nicht mehr verlassen. »Ich weiß bis heute nicht, woran es lag. Und das fuchst mich schon immer noch.« Der Physiker zitiert da gern die Fernsehserie A-Team: »Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.« Doch letztlich macht das ständige Auf und Ab für ihn auch den Berufsalltag in der Wissenschaft aus. »Forschen ist wie eine Achterbahnfahrt«, findet der Atto- sekundenexperte. Adrian Pfeiffer hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Was ihn antreibt? Mor- gens der Kaffee. Und die Spannung und das Streben, etwas Neues her- auszufinden. Mit jemandem, der eine Modelleisenbahn hat, ließe sich das vergleichen: »Nicht alle Arbeiten beim Aufbauen sind besonders amüsant, aber man erledigt sie trotzdem, weil man sie ja irgendwann fahren sehen möchte.« Pfeiffer, der aus Baden-Würt- temberg stammt, geht es auch in seiner Freizeit gern abenteuerlich an. Ski- fahren, klettern, segeln machen ihm Spaß, nur gerade fehlt oft die Zeit. In Jena geht es da neben Labor und Leh- re schon eher mal in die Boulderhalle oder auf das Mountainbike. Ständige Weiterentwicklung notwendig Seine Forschung zu Attosekunden, de- nen sich der gebürtige Tübinger seit Be- ginn seiner Dissertation widmet, führ- te ihn 2007 zunächst nach Zürich und dann für drei Jahre ans Lawrence Berke- ley National Laboratory in Kalifornien. In Jena ist er seit 2013 Juniorprofessor. Normale Wege in der Wissenschaft, meint Adrian Pfeiffer. Ständige Weiter entwicklung und Fortbewegung sind ein Muss. Das passt gut zu dem, was der passionierte Wissenschaftler über Experimentalphysik sagt, wenn ihn je- mand kritisch nach dem tieferen Sinn und Nutzen fragt: »Sie ist der Motor für Entwicklung allgemein. Allein, was La- ser in der Medizin oder in der Compu- tertechnik angeht – wer Entwicklung befürwortet, kann Experimentalphy- sik nicht negieren.« Und für das große Ganze hält er natürlich gern an seinen gewagten Forschungsideen fest. D A S G E WA G T E E X P E R I M E N T 45 Pfeiffers jüngstes Projekt, das die Förderinitiative »Experiment!« der Volks- wagen Stiftung mit 100 000 Euro unterstützt, beschäftigt sich mit »Subzy- klen-aufgelöster nichtlinearer Spektroskopie« und erfordert, wie er erklärt, radikales Umdenken. Konkret untersucht er, wie lange eine Gruppe von Lichtpulsen von ihrem Entstehungsort, einer Materialprobe, bis zum Auf- prall auf einem Detektor braucht. Das Problem des Versuchs liegt in der Ungenauigkeit der Messung, denn alle involvierten Optiken, die die Lichtpulse auf ihrem Weg zum Ziel pas- sieren, bringen bestimmte Oberflächenbeschaffenheiten mit. »Mit Abwei- chungen von etwa 60 Nanometern muss man auch bei Präzisionsoptiken rechnen. Da dies bei Lichtgeschwindigkeit die Laufzeit der Pulse um mehrere hundert Attosekunden verschiebt, kann man über die Zeitabläufe in der Probe nichts mehr mit Attosekundengenauigkeit herausfinden«, erklärt der junge Phy- siker. Innovativ wagt er nun dennoch den Versuch – und zwar mit Motorisierung aller Optiken zwischen Probe und Detektor. Durch zahlreiche Wiederholungen des Experiments geht Pfeiffer davon aus, dass der ermittelte Durchschnitt beim Auftreffen der Lichtpulse tatsächliche Zeitunterschiede verschiedener Materi- alproben abbildet. So möchte er herausfinden, wie schnell Elektronen in unter- schiedlichen Materialien, wie z. B. dünnen Gläsern oder Kristallen, auf intensives Licht reagieren.
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