Lichtgedanken 02
S C HW E R P U N K T 31 02 | LICHT GEDANKEN Glaubensumfeld. Weder Marburg noch Tübingen galten als katholische Hoch- burgen. Das Fach Katholische Theolo- gie, das er neben Politikwissenschaft und Geschichte studierte, galt für ihn eher als gute Option für das Lehramt, denn als Weg zur Selbstfindung. Trotz- dem erweiterte sich hier der Blick auf den eigenen Glauben. Denn in Marburg war das katholisch-theologische Semi- nar nur mit zwei Professoren besetzt, weswegen Protestanten das Studium prägten. In Tübingen war sein Aufent- halt vor allem durch die Auseinander- setzung mit Hans Küng geprägt, der als Professor deutlich Kritik an der katholi- schen Kirche übte und damit auch zur Selbstreflexion motivierte. Doch bringt so ein Theologiestudium etwas für den eigenen Glauben? »Manchmal hilft‘s tatsächlich, und manchmal stört‘s«, sagt Dicke heute. »Manchmal kann man auf diesem Gebiet von zweifelnden und su- chenden Denkern wie z. B. Imre Kertész mehr profitieren als von vielen theologi- schen Traktaten, aber es ist andererseits auch sehr bereichernd, Glaubensprak- tiken über viele Jahrhunderte hinweg verfolgen zu können. Die Theologie ist eine hochinteressante Wissenschaft.« Einer der ersten Wege in einer neuen Stadt führte für den Studenten Klaus Dicke auch in die Hochschulgemeinde. In Marburg und Tübingen sind diese ökumenisch ausgerichtet – ein Thema, das ihn bis heute begleitet. Nicht zu- letzt, weil er sich im Laufe seiner Hoch- schulkarriere zunehmend vom katho- lischen Kerngebiet entfernt. Zunächst verschlägt es Dicke als Akademischen Rat in den protestantischen Norden an die Universität nach Kiel. »Das war schon Diaspora. Die katholische Ge- meinde dort ist sehr überschaubar. Man kennt sich von sonntags. Das prägt na- türlich und schweißt zusammen«, er- zählt der Rheinländer. Ähnlich ergeht es ihm schließlich, als er 1995 nach Jena an die FSU wechselt. Der nahezu säku- larisierte Osten scheint noch einmal eine ganz neue Herausforderung. Allerdings spielen für den Politikwissenschaftler das Forschungsumfeld und die Arbeits- bedingungen eine deutlich wichtigere Rolle als die Glaubensheimat. »Ich habe mir Arbeits- und Wohnorte nie nach meinem Glauben ausgewählt«, sagt er. Anders herum hat der Glaube aller- dings schon einmal ein Wörtchen mitge- redet. »Ich stand bei einer katholischen Universität in Süddeutschland auf Platz eins der Bewerberliste, habe den Ruf dann aber nicht erhalten, weil ich in ers- ter Ehe geschieden bin«, erzählt Dicke. Die Reformation bot einen »bunten Teppich an Möglichkeiten« In Jena schließlich ist er im Kernland der Reformation angekommen. Immer wieder berührten nun auch seine For- schungsschwerpunkte die Frühe Neu- zeit – »und wenn man sich mit dieser Epoche beschäftigt, dann kommt man um die reformatorischen Bewegungen nicht herum«. Überhaupt ist es Dicke wichtig zu betonen, dass sich die Ge- schehnisse nicht nur auf das Jahr 1517 beschränken. »Wenn man sich die theo- logische Landschaft um 1500 anschaut, dann stellt man Unmengen an Optio- nen fest, es war ein bunter Teppich an Möglichkeiten und Luther hat sich eine gegriffen.« Die Lektüre der Schriften Martin Luthers steht für Dicke schließ- lich am Anfang einer intensiven Aus- einandersetzung mit der Reformation. Vor allem die politische Dimension fasziniert ihn. »Wenn man Luthers Ob- rigkeitsschrift liest, dann sieht man, wie sehr die Geschehnisse um 1517 auch aus einem kernigen politischen Pragmatis- mus hervorgegangen sind«, erklärt der Politikwissenschaftler. »Überhaupt gab es diese Trennungen, die wir heute zwi- schen Politik und Religion eingezogen haben, damals noch nicht. Das war alles viel enger miteinander verwoben – und genau das macht die Gemengelage so spannend.« Und eine politische Folge der Reforma- tion ist auch die Universität in Jena, die 1548 von einem protestantischen Fürs- ten in katholischer Gefangenschaft auf den Weg gebracht worden war (S. 12 f.). Bild links: Installation auf dem Marktplatz von Wittenberg. Von hier aus brachte Martin Luther (1483 – 1546) die Reformation in Gang. Im Hinter- grund ist das Denkmal des Reformators vor dem Rathaus zu sehen. Prof. Dr. Klaus Dicke. Der Politikwissenschaftler war von 2004 bis 2014 Rektor der Friedrich-Schiller-Uni- versität. Luther und die Reformation beschäftigen den heute 63-Jährigen nicht erst in den vergangenen zehn Jahren der Lutherdekade.
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