Lichtgedanken 02

S C HW E R P U N K T 28 Die brüchigen Blätter entstammen einem Sammelband mit Predigten Luthers, der insgesamt 17 Einzelhefte enthält. Die zur Reformationszeit übli- che Praxis, sich verschiedene Texte zu einem eigenständigen Buch binden zu lassen, ist mir ja inzwischen vertraut. Wer auch immer dies mit den Predig- ten Luthers gemacht hat, seinen Origi- nal-Einband aus dem 16. Jahrhundert können wir nicht mehr begutachten. »Der ist nicht überliefert«, bedauert Werkstattleiter Frank Schieferdecker mit Blick auf den recht unansehnlichen grauen Bibliotheks-Papiereinband, in dem die Drucke aus dem Jahr 1523 bis jetzt steckten. »Vermutlich um 1900 ist der Einband ausgewechselt worden«, schätzt Schieferdecker. Damals sei das Buch zuletzt repariert worden. Woher der Band ursprünglich stammt und wie er in die ThULB gelangt ist, weiß heute niemand mehr. In Einzelblätter zerlegt ist das schad- hafte Papier nun bereit, »angefasert« zu werden. »Kleine Stellen können wir zwar von Hand ausbessern«, erläu- tert Annett Blumenthal. Doch bei solch großflächigen Schäden, wie hier an die- sem Luther, wäre dies viel zu aufwen- dig. Schneller lasse sich das löchrige Papier maschinell reparieren. Mechanisiertes Papierschöpfen Das Anfasergerät ist im Prinzip nichts weiter als ein etwa einen mal knapp zwei Meter großes rechteckiges Becken mit einem Sieb in der Mitte. Durch He- ben und Senken des Wasserspiegels lassen sich darauf großformatige Bögen Papier »schöpfen«. Oder, so erläutert Frank Schieferdecker, beschädigte Pa- pierbögen mit neuen Fasern ergänzen. »Dazu verwenden wir Zellulosefasern, die im Farbton dem Original mög- lichst nahekommen.« Im vorliegenden Fall wählt der Restaurator eine leicht bräunliche Faser. Welche Menge zum Ausfüllen der Fehlstellen an dem his- torischen Original benötigt wird, misst Schieferdecker routiniert von Hand ab. In einem großen Mixer wird die Zellulo- se jetzt mit Wasser vermischt und klein gehäckselt. In der Zwischenzeit hat Annett Blu- menthal die beschädigten Druckbögen vorsichtig auf das Sieb im Anfaserbe- cken gelegt. Sie gießt den Faserbrei aus dem Mixer dazu und startet eine Pum- pe. Ohrenbetäubend strömt nun Wasser durch einen Gummischlauch mit einer Brause vorne dran und füllt das Becken, wobei sich die Papierfasern fein im gan- zen Becken verteilen. Es klingt wie in ei- nemWaschsalon, wenn gleichzeitig drei Waschmaschinen ihren Inhalt abpum- pen. Knapp eine Minute später ist das Becken voll. Schalter aus. Stille. Ich versuche mir vorzustellen, wie sich in diesem Moment die feinen Fasern an die jahrhundertalten Papierbögen anschmiegen und jede noch so kleine Lücke ausfüllen. Zu sehen ist davon in der milchig trüben Flüssigkeit nichts. Schon wenige Augenblicke später wird die überschüssige »Zellstoffsuppe« ab- gesaugt und Annett Blumenthal ent- nimmt die Buchblätter – nun wieder Vor der Restaurierung: Das Titelblatt des Sammelbandes mit Predigten Martin Luthers aus dem Jahr 1523 weist große Schäden auf. Inzwischen sind die Fehlstellen im Papier ergänzt und das Buch ist frisch geheftet in das Sondermagazin der ThULB zurückgekehrt.

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