Lichtgedanken 02
S C HW E R P U N K T 26 Schränke mit Schubladen über Schubladen. Und vor al- lem: Bücher. Bücher unterschiedlichster Größe, Farbe und Alters auf Rollwagen, die auf ihre Digitalisierung warten, Bücher in Einzelblätter zerlegt in Regalen, frisch gebunde- ne Exemplare in Schraubzwingen zusammengepresst auf einer großen Arbeitsplatte. »Schätze aus der Reformationszeit« sind auch an diesem Vormittag gerade in Arbeit. Vor Susanne Kull liegt ein großformatiges Buch mit Texten und Liedern aus dem 16. Jahrhundert, das im Gottesdienst genutzt wurde. Die Re- stauratorin prüft den frischen Einband aus hellem Leder, schlägt das dicke – gut dreihundert Seiten starke – Buch auf und kontrolliert noch einmal die neue Heftung und das ebenfalls frisch gestochene Kapital. All dies ist in Handarbeit entstanden, mit denselben Werkzeugen und Techniken wie zu Luthers Zeiten. Das neben ihr liegende Restaurierungsprotokoll gibt Aus- kunft über jeden einzelnen Arbeitsschritt, der in den zu- rückliegenden Tagen dem Buch mit seinem vergilbten, mit Löchern und Schimmelflecken versehenen Zustand zu neuer Pracht verholfen hat. Dabei ist das Ziel der Buchre- staurierung aber nicht ein möglichst makelloses Äußeres wiederherzustellen. »Die Bücher sollen soweit wie mög- lich in ihren Originalzustand versetzt werden«, sagt Su- sanne Kull. Und deshalb steht dem gewichtigen Gesang- buch noch ein weiterer Restaurierungsschritt bevor. Auf den neuen Ledereinband wird das historische Einbandle- der aufgeklebt – ungeachtet seiner schadhaften Stellen an den Rändern und am Buchrücken. »Das versuchen wir zu stabilisieren«, sagt die Restauratorin, die sich bereits seit mehr als 25 Jahren um die Bücher der ThULB kümmert. Abschließend werden die beiden Schließen und die Schil- der auf dem Buchrücken wieder angebracht und das Buch geht zurück in das Sondermagazin. Auch Kulls Kollegin Annett Blumenthal bearbeitet ein Buch aus der Reformationszeit. Sie sitzt über einen Stapel loser Blätter gebeugt, der auf ihremArbeitstisch liegt. Ganz oben auf: die Titelseite mit dem Konterfei Luthers. »Hier haben wir aber einiges zu tun«, sagt sie über die Schäden an dem fast 500 Jahre alten dicken, gelblichen Papier. »Die Ränder sind ausgefranst, teilweise finden sich im Falz so große Löcher, dass die Heftung nicht mehr hielt.« Rund um das Bild des Reformators zeichnen sich dunkelgraue Schimmelflecke ab.
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